Dive – Where Do We Go From Here (CD-Kritik)

DIVEIm dreißigsten Dienstjahr stellt sich das Kult-Projekt DIVE die Frage, wie es weitergehen soll. Where Do We Go From Here heißt die neue Scheibe und liefert an der Zahl neun Vorschläge, wohin es gehen kann. Benannt nach einem Song von Suicide Commando, auf dem Fronter Dirk Ivens stimmlich mitwirkte, lässt dieses Album interessante Einblicke zu. Da ist einerseits das einführende Psychogramm „Inside Your Head“, das mit verzer- rten Blechbüchsen-Vocals und eindringlichem Weltschmerz-Text bereits die Düsternis einläuten lässt. „Take me away, I don’t wanna feel“ heißt es logi- scherweise dann auf der Single „Black Star“, die mit langsamem Rhythmus und ruhigerem Refrain allgemeine Gehirnnebel-Stimmung hervorzurufen weiß.

Auch „Slave Of Desire“ bewegt sich in den langsameren Hemisphären und erzählt von Ergebenheit, Willenlosigkeit, und vielleicht gar Ausbeutung. „Leave Me Be“ hingegen weiß ein wenig Druck aufzubauen, und wirkt wie ein finales Aufbegehren eines verletzten Tieres: Lass mich allein, lass mich in Ruhe. Das Verlangen, das Verschmelzen, und fast werwolf-eske Untertöne finden sich auf „Facing The Moon“. Darüber, dass man sich in mental auf eine Talfahrt begibt, geht es auch in „Dark Place“, während auf „Death Machine“ mit bedrü- ckender, mechanischer Direktion die Zeile „It’s far too late“ wieder und wieder gesungen wird.

Während man das so hört, wirft man irgendwann einen Blick auf die Playlist und stellt fest, dass man bereits beim siebten von neun Titeln auf diesem Album angekommen ist. Hier kommt der Rezensent an seine Grenzen: musikalisch kommt Where Do We Go From Here nämlich einigermaßen gleichförmig daher. Zwar auf hohem Niveau produziert, sorgt diese Homogenität dafür, dass es einigermaßen wenig zu den einzelnen Songs zu sagen gibt. Die Texte, die die Repetition sowie klare Bilder als Stilmittel verwenden, machen auf den Songs zwar gute Figuren, doch fragt man sich zwischen dem ganzen geschilderten Leid, der schmerzbehafteten und unterwürfigen Sexualität und der Anspannung und Angst, die dieses klaustrophobische Album durchziehen, immer ein wenig nach den Ursprüngen all dieser Gefühle.

Auch der Dreieinhalbminüter „Invisible“ vermag es leider nicht wirklich, eine Antwort darauf zu bieten. Zwar ist auch er hochatmosphärisch, und die Stimmung wird sehr gut vermittelt, gleichzeitig scheint hinter Sätzen wie „Look how people change“ mehr eine Andeutung als eine Offenbarung zu liegen. So spannend, wie hier mit finsteren, sperrigen Melodien ge- arbeitet wird, so schade ist es doch, dass sich lyrisch dann doch wieder die eine oder andere Phrase auftut, die dann ein wenig im Raum steht. Das Album ist vielmehr eine Ansammlung aus Standbildern, deren Emotionen musikalisch ausgemalt werden, die jedoch relativ vorder- gründig bleiben. „Just another face in the crowd“ – welche „crowd“?

Von „noch brutaleren Beats“ ist die Rede im das Album begleitenden Pressetext – das kann ich hier leider nicht so wirklich sehen. Geschenkt: die Slowburner haben eine starke Eindringlichkeit, entfesseln sinistre Stimmungen, aber die Beats an sich sind nicht wirklich durchschlagend, vielmehr unterstreichen sie den Zustand des emotionalen weißen Rau- schens. Die durchweg verzerrten und geflüsterten Vocals tragen ebenfalls dazu bei, dass Where Do We Go From Here primär Stimmungsmusik ist, die eine ideale Begleitung für eigene Verwirrungen sein kann. Dies trifft auch auf den Titeltrack zu, der einzige Song der Platte, der die Fünf-Minuten-Marke sprengt und nochmal knapp hundert Sekunden mehr drauflegt – minimalistisch, futuristisch, verschwimmt gen Ende immer mehr, von dunklen Himmeln und leeren Seelen ist die Rede. Eine Antwort auf diese Frage wird auch nicht gefunden – ist das der im Pressetext besagte „Hoffnungsschimmer“? Dass es, wenn man auf dem Nullpunkt ist, schon rein mathematisch nur noch bergauf gehen kann, ohne dass das explizit ausgesprochen wird?

Fazit: Gut und schön, das neue DIVE-Album klingt ausgesprochen gut produziert, ausge- sprochen düster und homogen, aus einem Guss und stetig angespannt und schwer. Die Musik spricht für sich, und das, was sie sagt, ist, wie die Klänge, eher sperrig und atmo- sphärisch als tiefgreifend und bewegend. Das soll nicht heißen, dass die Einsamkeit, die Depression und die mentale Enge nicht gut in Klänge übersetzt wurden. Im Gegenteil: Where Do We Go From Here bietet eine großartige Momentaufnahme einer Seele im Taumelzustand, gefangen im Schattenreich des Schmerzes, willen- und orientierungslos. Doch es bleibt am Ende nur eine Momentaufnahme, ohne direkt beschriebenen Weg, der begangen wird, die Stimmung wird nie gebrochen. Diese Momentaufnahme wird von DIVE gut ausschraffiert. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Tracklist:

01 Inside Your Head
02 Black Star
03 Slave To Desire
04 Leave Me Be
05 Facing The Moon
06 Dark Place
07 Death Machine
08 Invisible
09 Where Do We Go From Here

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VÖ: 11.12.2020
Genre: Electro
Label: Out Of Line

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