Anne Clark – Unstill Life (Re-Release) CD-Kritik

Anne Clark„Unstill Life“ war 1991 das erste Studioalbum von Anne Clark nach einer erzwungenen vierjährigen Pause infolge einer umfassenden Auseinandersetzung mit der Musikindustrie. Ein Album voller Rückzug, Selbstbeobachtung, Entschlossenheit und lebensbejahender Kreativität. Alle Genres, alles Leben vertreten. Nur sehr wenige Künstler haben in einer so langen und konsequenten Karriere ein so breites Spektrum abgedeckt. Anne Clark kombiniert literarische, sozial engagierte Texte mit innovativen und genrebrechenden Klanglandschaften und hat seit fast 40 Jahren einen einzigartigen Platz in Literatur und Musik. (Quelle: Pressetext) Am 08. Mai 2020 erscheint nun eine Neuauflage des Erstlingswerkes erstmalig samt Bonustracks als Digipak via FDA (Rough Trade).

Düstere, maschinelle Klänge eröffnen auf „The Moment“ das erste Werk des damals noch recht jungen Jahrzehnts, der 1990er Jahre, aus der Feder der britischen Ausnahme- künstlerin und Dichterin Anne Clark. Fast dreißig Jahre später und angereichert mit insgesamt sieben Bonustracks wird „Unstill Life“ nun, zu Beginn einer neuen Dekade, wiederveröffentlicht. „Iron takes the place of air“, spricht die vielleicht erste Poetry Slammerin (damals, als dieser Begriff noch für etwas Gutes stand), über diese auditive Dystopie.

Die 80er waren vorbei, und mit ihnen ließ Anne Clark Hits wie „Our Darkness“ und „Sleeper In Metropolis“ hinter sich. Stattdessen dienen die Instrumentals auf „Unstill Life“ fast schon eher als Atmosphärengeber, nicht mehr als Tanzfaktorerhöher. So mutet „The Spinning Turning Of The Summer Earth“ fast schon meditativ an, während „White Silence“ durch die technisch erzeugten klassischen Instrumente sich wie ein Erwachen an einem warmen Frühlingsmorgen anfühlt, infolge dessen man mit müden, dennoch weit geöffneten Augen durch die Wohnung tapst. Klar ist, dass die Musik, in ihrer Kombination aus klar elektronischen, teils sphärischen Klängen und imitierten klassischen Instrumenten, hier primär als Untermalung für die Lyrik dient, die Anne Clark so eigenwillig, so fabelhaft weich vorträgt. Mit leiser Stimme, fast hauchend, haargenau artikuliert, lässt sie ins- besondere den Konsonanten in ihrer überdeutlichen Aussprache den Raum, den sie brauchen.

Was man bei dem Phänomen Anne Clark häufig vergisst, ist eben genau dies: Hier handelt es sich weniger um Musik, sondern mehr um eine mit Soundtrack versehene Lesung. Mit filmmusikähnlicher Präzision werden hier einzelne Sounds um die teils nur recht kurzen Gedichte der Sängerin, beziehungsweise der Vortragenden platziert, während selbige die Worte tanzen lässt. Fast irritierend ist es, wenn sich auf „Empty Me“ tatsächlich so etwas wie Rhythmik und eine klare Melodie abzeichnet – „Music’s never made such living sounds.“ Worte der Wahrheit. Die Bildhaftigkeit der Texte, und die Fähigkeit der Instrumente, diese Bilder mit Farben zu füllen, sorgen für eine ungeheuer spannende, cineastische Erfahrung beim Hören dieser Platte, auch Dekaden nach der Erscheinung.

Zwischenzeitlich zeichnet sich mit „Counter Act“ fast schon wieder ein Hit an, wenn auch diesmal anderer Natur. Dieser attitüdenreiche Schwinger bringt selbst Clark beinahe zum Rappen, während die Musik sich teils in Sphären bewegt, die an Depeche Mode erinnern. Zurecht sind auch vier der zusätzlichen Titel dieses Re-releases Remixe gerade dieses Songs. Schade, dass es für „moody“ kaum ein treffendes deutsches Wort gibt.

Auch die Single „Abuse“ ist ein weiteres Highlight. Hier scheinen sich schon musikalisch Gut und Böse, hohe und tiefe Töne zu streiten, während Anne Clark eindringliche Kapitalismuskritik, eingepackt in ihre starke Bildsprache, aus sich stößt. Habe ich eigentlich auch erwähnt, dass ich dieser Frau einfach sehr gerne zuhöre?

Das Album endet mit dem, was andere A Capella nennen würden. „Closed Circuit“ be- schließt eine Platte voller Stimmung, in der Neuveröffentlichung gefolgt von einer Handvoll Remixes sowie einer weiteren Version des Songs „Silent Prayer“, erschienen auf der „Abuse“-Single zu einer Zeit, als physische Singles noch existierten.

Fazit: Obwohl einige der Macharten und angewandten Spielereien auf „Unstill Life“ von der Zeit überholt wurden, bleibt dieses Album zeitlos. Zurecht als „Klanglandschaften“ bezeichnet kann der Hörer in die Instrumentals eintauchen, bevor die Worte von Anne Clark, die mit den Geräuschen eine fantastische Symbiose eingehen, ihn schließlich an das Werk binden. Mit der besonderen Bedeutung dieses Albums in der Karriere Clarks, der ersten Veräußerung der Künstlerin seit vier Jahren, als es 1991 erschien, entsteht auf diesem Poesiealbum ein spannender Einblick voller interessanter, bildreicher Texte, die ideal in Szene gesetzt wurden. Was schert einen die fast verboten kurze Spieldauer von gerade einmal vierzig Minuten des Originalalbums, wenn in dieser Zeit so viel Stimmung, so viel Film transportiert wird? Es ist erfreulich, dass dieses Album nun wieder weitgehend erhältlich ist. Das Bonusmaterial ist eine nette Mitgift, doch der Kern des Werks bleibt die Meditation einer einzigartigen Künstlerin, ein vielseitiges und -schichtiges Stück experi- menteller Wort- und Tonkunst.

Tracklist:

01 The Moment
02 Sognsvann
03 The Spinning Turning Of The Summer Earth
04 Ice, Moving (Instrumental)
05 White Silence
06 Makes Me Feel At Ease
07 Unstill Life
08 Empty Me
09 Nida
10 Counter Act
11 Abuse
12 Silent Prayer
13 Closed Circuit
14 Abuse (Long Version)
15 Abuse (Radio Mix)
16 Silent Prayer (Abuse Single Version)
17 Counter Act (Radio Version) Remix – Anne Clark, Ian Caple
18 Counter Act (Extended Version) Remix – Anne Clark, Ian Caple
19 Counter Act (Cybermix) Remix – Moloko Plus
20 Counter Act (Creation Remix) (Edit.) Remix – Corin O‘Shanahan

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Release: 08.05.2020
Genre: Experimental/Electro
Label: FDA (Rough Trade)

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