Suicide Commando – Goddestruktor (CD-Kritik)

Suicide Commando„We will not forgive, we will not forget, we will hunt you down and make you pay“ – Mit diesen Worten beginnt das neue Album von Suicide Commando, dem altehrwürdigen Electro-Industrial-Projekt des Belgiers Johan van Roy, der seit den späten Achtzigern seine Wut auf die Welt in dunkle Beats gießt. “Goddestruktor” heißt das nach meiner Zäh- lung zehnte Studioalbum, das nun, knappe fünf Jahre nach dem Vorgänger “Forest Of The Impaled”, vor der Tür steht.

Der Track, aus dem das am Anfang stehende Zitat stammt, heißt „Kill All Humanity“, und macht diesem Titel alle Ehre. Mit finsterem Groove, den charakteristischen verzerrten Vocals und misanthropischen Lyrics wird das Szenario gesetzt: Die Menschheit ist verdammt, wir haben versagt. Das bisher „heftigste“ Album verspricht uns die Ankündigung von Out Of Line. Und tatsächlich: schon nach diesem ersten Intro-Song scheppert uns „I’d Die For You (v2.0)“ um die Ohren – ein Update eines Songs der 2018 erschienenen „Death Will Find You“. Die Drums machen ordentlich Bock, und die Midi-Sounds, die sich hier und da durch den Mix bahnen und klingen, als würde in einem 90er-Jahre-Egoshooter ein unappetitliches Monster hinter der Ecke lauern, haben einen gewissen Charme und verorten diesen Song stilsicher im Retro-Industrial von Kollegen wie Skinny Puppy.

Auch „God Of Destruction“ traut sich nicht wirklich über den eigenen Horizont heraus und klingt ziemlich oldschool. Verheißungsvolle Pseudo-Prediger-Lyrik, die altbekannte Themen der Religionskritik aufgreift („Your god is a lie“ heißt es hier) ist nichts Neues, doch die Voice-Samples und zielsicheren Synthies sitzen trotzdem sehr fest im Sattel und schlagen mit gewohnter Präzision zu. Was van Roy macht, macht er nun einmal einfach gut, und Beständigkeit zahlt sich nun einmal aus bei den Fans. So bleibt „Jesus Freak“ auch sogleich im ähnlichen Themenfeld, wenn auch mit etwas mehr Dampf im Kessel. Diese druckvollen, marschierenden Drums und die beschwörende Rhythmik der Vocals lassen ihre Wirkung nicht vermissen: Da entsteht eine schön düstere, aber auch ein bisschen höhnende Stimmung. Das ist nicht zuletzt Zeilen wie „Let the devil have sex with me“ oder dem herrlich skurrilen Voice-Sample, das hier zum Einsatz kommt („Christ almighty, you Jesus Freaks are so fucking…“ – daran hätte ein Rob Zombie auch seinen Spaß gehabt), geschuldet. Auch die sehr simple Melodie entbehrt nicht einer gewissen Schönheit.

„Sterbehilfe (Euthanasia 2021)“ orientiert sich wiederum an einem Song aus dem Album „Face Of Death“ – die Lyrics sind gar deckungsgleich. Die hier vorliegende Version ist im Vergleich zum Original nicht nur gut zwei Minuten kürzer, sondern kommt in der Instrumen- tierung auch etwas weniger pathetisch daher, die Keyboard-Chöre sind in dieser Neuauflage viel zielsicherer eingesetzt. Auch wirkt auf der neuen Version die Melodie ein wenig ausgefeilter, und auch produktionstechnisch liegt hier 2021 selbstverständlich vorne: der Druck im Instrumental ist viel stärker, die Bässe kommen viel mehr durch. Es folgt mit „Destroyer Of Worlds“ ein wiederum ordentlich flottes Geklöppel daher, mit einigen herrlich furzenden und brechenden Sounds – ein sehr ordentliches, atmosphärisches Zwischenstück, das bis auf einige Samples und das wiederholt geshoutete Wort „DESTROYEEER!“ größtenteils instrumental daherkommt und vor allem die Aggrotech-Allüren von Suicide Commando sehr gut unterstreicht. Hier fühlt man nochmal mehr von der angekündigten Heftigkeit, die Nummer haut wirklich verdammt ordentlich auf die Schnauze und macht auf den verhält- nismäßig kurzen drei Minuten und fünfzig Sekunden kaum Gefangene.

Track Nummer 8 öffnet uns die Türe mit einem herrlichen 80s-Synthie, wie man ihn auch gelegentlich von And One hören würde – auch erleben wir hier eine Abwechslung von van Roys tiefem, verzerrten Kommandierton. Eine liebliche Frauenstimme intoniert „Land Of Roses“ mit Reduktion, aber nicht ohne Zauber. Das entfacht teilweise die Stimme, die auch ein guter Ulrike Goldmann-Song bei Blutengel zu übertragen weiß: eine gewisse Mystik entsteht hier, und gepaart mit den maschinellen Klängen und den nichtsdestotrotz eher harschen Drums und drohenden Synthies entsteht eine sehr angenehme Unheimlichkeit. Man könnte es schon fast „Ballade“ nennen. Das Kontrastprogramm folgt sogleich mit „Bang Bang Bang“, einem Song über allgegenwärtige Waffengewalt, der das Tempo gleich wieder anzieht: „This is my rifle, feel the power of the gun“, heißt es hier, während im Hintergrund Polizeisirenen und fiese funkelnde Synths zu hören sind. Der Refrain hat ebenso ordentlich Wumms, kommt mit einer gepfefferten Prise Antiamerikanismus daher und geht ordentlich ab. Genial ist, dass sich „Bang Bang Bang“ zusätzlich noch ein schrecklich schönes Outro leistet, in dem all die Härte implodiert und die Message mittels eines Samples unterstrichen wird: „Every day, over 100 people in America die from gun violence.“ Ein famoser Song, der es schafft, sein Thema musikalisch adäquat aggressiv umzusetzen, gleichsam die Ernsthaftig- keit zu betonen, und dabei Längen vermeidet.

Das wohl kürzeste Stück ist der Electro-Groover „Sin“, der in seinen zweieinhalb Minuten fast das Flair einiger früher Depeche Mode-Nummern hervorzukitzeln weiß. Hier paaren sich streckenweise ausgesprochen liebliche Synthies mit beißenden Samples und einigen schön-schnittigen Drumsounds. Eher ein kurzes Interlude auf dem Weg zur letzten Etappe auf dem Album, ist „Sin“ eine ganz schöne Nummer, die den Fuß ein wenig vom Gaspedal nimmt. Mit dem bereits bekannten „Trick Or Treat“, das schon als B-Seite zum famosen „Bang Bang Bang“ veröffentlicht wurde, wird allerdings wieder etwas Fahrt aufgenommen. Hier wird es wieder düster, lärmig und blutig, wie man es sich wünscht. Es dröhnt, es scheppert, das irrsinnige Sample des Kinderliedes macht sich hier ganz wunderbar – es würde diesem Song sehr gerecht werden, in nicht allzu ferner Zukunft auf dem Soundtrack eines Independent-Slasherfilms aufzutauchen. Den Abschluss zu diesem Album liefert das schon vor zwei Jahren erstmals veröffentlichte „Bunkerb!tch“, hier in einer zensierten Version. Auch mit entsprech- ender Zensur geht diese Nummer ordentlich ab, besonders im letzten Drittel wird dieser Song ein völlig wahnsinniges, explosives Geklöppel und Gebrüll: „Resist this oppression, we’re ready to die!“ Sehr geil, jedoch: Als zweite A-Seite einer Doppelsingle mit „Dein Herz, meine Gier“ schon bekannt, bietet diese Nummer, die nach wie vor mit etwas erhöhter BPM-Zahl sehr schön zuschlägt, einen etwas sprechenden Schlusspunkt für “Goddestruktor”. Allzu Bekanntes, doch gleichsam Geliebtes gibt es hier in Hülle und Fülle zu hören.

Fazit: Ein neues Suicide Commando-Album scheint vor allem eines zu bedeuten: Alle paar Jahre beweist Johan van Roy, dass er seinen Sound noch beherrscht. “Goddestruktor” punktet nicht mit Innovation, Experimentierfreude oder anderen Ideen, die das Stamm- publikum abschrecken könnten – allein drei der elf Songs sind entweder Re-Releases oder neue Versionen bekannter Lieder („I’d Die For You“, „Sterbehilfe“, „Bunkerb!tch“). Doch das, was wir hier bekommen, ist nach wie vor hochgradig patenter Electro-Industrial-Sound mit ordentlich Aggrotech-Einfluss, der sich zwar in allererster Linie um sich selbst und seine eigene Attitüde der (selbstverständlich verlorenen) Welt gegenüber dreht, aber dabei immer wieder Highlights produziert. Auch dieses Album macht Spaß, entfernt sich nicht von seiner DNA, und kann mit einigen Hausnummern punkten. „Jesus Freak“ wäre da zu nennen, das ordentlich klöppelt und gerade mit dem subtilen Humor punktet, „Land Of Roses“ als quasi-ruhige Nummer ist ebenso sehr charmant, und auch die „Bunkerb!tch“, wenn auch natürlich längst bekannt, sorgt immer wieder für gute Laune.

Tracklist:

01 Kill All Humanity
02 I’d Die For You (v2.0)
03 God Of Destruction
04 Jesus Freak
05 Sterbehilfe (Euthanasia 2021)
06 Destroyer Of Worlds
07 Land Of Roses
08 Bang Bang Bang
09 Sin
10 Trick Or Treat
11 Bunkerb!tch (censored)

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VÖ: 22.07.2022
Genre: Electro-Industrial
Label: Out Of Line

Suicide Commando im Web:

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