She Hates Emotions – Happy Pop Music (CD-Kritik)

She Hates EmotionsFans von Blutengel können sich dieser Tage definitiv nicht über zu viel Leerraum im Regal beschweren: Während aktuell monatlich Neuauflagen des bisherigen Oeuvres der Band erscheinen, liefert Chris Pohl nun zusätzlich einen neuen Longplayer seines vor zwei Jahren zur Welt gekommenen Nebenprojekts She Hates Emotions ab. 2020 debütierte das Retro-Synthpop-Projekt mit “Melancholic Maniac” und kam als Kontrast zum Blutengel’schen Werk ange- messen erfrischend daher – und auch das neue Album mit dem grandios-ironischen Titel “Happy Pop Music” macht binnen Sekunden klar, wohin der Hase läuft.

So flöpeln und surren die Synthies schon im Albumintro aus allen Richtungen, und auch die Single „Space & Time“ macht Nägel mit Köpfen – die Melodien sind retro wie nix, die kühlen Plöckel-Drums sitzen fest im Sattel, und Pohl entfesselt ein gehöriges Maß „Teenage-Angst“, während er träumerisch-flehend bewusst banale Zeilen wie „Everything just an illusion / You are the only one who can touch my soul“ singt. So viel sei vorab gesagt: Dieses Album lebt von Kitsch, und zwar mit Recht und mit Selbstbewusstsein. Was wäre eine gute Jugendreminiszenz ohne Pathos, Sturm und Drang?

Damit das gleich mal gesagt ist: Dieses Album nimmt sich selbst nicht wirklich ernst, seinen musikalischen Einflüssen allerdings erweist es Respekt und Verehrung, ohne sich das Spiel mit den Klischees verbieten zu lassen. Die (Selbst-)Ironie, die im Albumtitel liegt, überträgt sich verlustfrei auf die maßvoll gefertigte Musik. So hat „This Ain’t Good“ einen herrlich blöden Text („I like the bars, I like the girls / I like the drinks, I like the boys“), musikalisch aber winkt es stark in Richtung der jungen Depeche Mode oder gar den Pet Shop Boys. Sich in der Kneipe volllaufen zu lassen im vollen Bewusstsein darüber, dass das der eigenen Gesundheit nicht sehr zuträglich ist, klang lang nicht mehr so lustig und tanzbar. „She Takes Control“ klingt fast wie ein auf verdoppelter Geschwindigkeit abgespielter Camouflage-Song und nimmt ebenso die Form einer 80s-Hymne an, samt „Ohohoh“-Mitsingrefrain und einer Prise vorsichtiger Sexualität. Auch dieses Lied wirkt wie aus der fernen Vergangenheit in die Gegenwart gebeamt, so genau hat Chris Pohl die Strukturen und Melodien des frühen Synthpop studiert, dass es sich lückenlos an die Songs, die bis heute auf jeder einschlägigen Szeneparty zu hören sind, einfügen könnte.

Das etwas Alphaville-mäßige „The One I Love“ nimmt das Tempo ein wenig raus, die Synths jedoch bleiben verspielt wie eh und je. Die stärker verzerrten Vocals wiederum nehmen ein wenig die Dynamik raus, sodass das Gefühl entsteht, dass dieses Stück auch im Refrain nicht so richtig aus dem Quark kommt, aber für ein Intro wie dieses bin ich bereit, viel zu verzeihen. „A Second Chance“ handelt von Liebesgeschichten jener Komplexität, die jedem, der mal 16 war, wohl bekannt ist. Das Drama kommt auf flotten Sohlen und mit nahezu Falco-esken Stakkato-„Oh! Oh!“-Chören daher und macht ordentlich Spaß – wenn auch die Melodie des Refrains diesmal sehr nah am Hauptprojekt ist.

Während auf „Another Step Into The Future“ die Synthies nur so kreischen und der fast schon rappige Rhythmus schön groovt, beschert uns Chris Pohl hier wiederum fantastische Zeilen wie „They’re not my friends – I have no friends!“ und ist völlig losgelöst. Vor allem fasst er hier aber mit einem unverkennbaren Augenzwinkern die Vergangenheitsverklärung zusammen, die auch diesem Album zugrunde liegt: „In the past, everything was better. In the past, everything was easy (…) Bring back those good old days!“ Wo er kompositorisch sein Können und sein Verständnis dieser über allen schwebenden Dekade zielsicher beweist, macht er sich in den Texten gleichzeitig ein wenig über sich selbst und alle, die gedanklich so in dieser Zeit verhaftet sind, lustig. She Hates Emotions hätte somit das Potential, eine Art Steel Panther für den frühen Synthpop speziell englischen Fabrikats zu werden. Das wäre alles andere als schlecht.

Folgerichtig ist „This Is The End“ ein Song übers Älterwerden, der mit ordentlich Tempo daherkommt und dessen Refrain fast schon punkige Sphären erreicht. „I’m losing youth, I’m losing beauty, I’m losing health – This is the end“. Auch der Lead-Synth im Refrain gerät hierbei fast cartoonesk und geht ordentlich ab, dieses Lied ist einfach ein großer Spaß. Auch hier ist wieder die Schere zwischen fröhlicher Gute-Laune-Tanzmusik und „Alles ist scheiße“-Lyrik ein reines Vergnügen und gibt dem Album einen schönen, eigenen Twist. „Meant To Be Alone“ ist dagegen schon wieder melancholischer, was auch in der kalten, wavigen und trotzdem irgendwie feierlichen Melodie liegt. Hier kommt eine gewisse Ambivalenz zutage, im Schönen liegt hier auch ein Stückweit das Tragische – somit ist Chris Pohl auch hier wieder right on brand.

Auch „No Time To Waste“ behandelt das Thema Älterwerden – tut dies jedoch mit einer etwas optimistischeren Grundhaltung. Wo „This Is The End“ noch etwas apokalyptischer gerät, hat dieser Song einen gewissen Jetzt-oder-nie-Grundton, der sich in der energiegeladenen, mit treibenden Bässen versehenen Pumpnummer fabelhaft bis in die Tanzbeine übersetzt. Mit „Ich will hier weg“ findet sich auch auf diesem Album eine deutsche Nummer – war der Song „LIEBEN“ auf dem Vorgänger noch eher DAF-geprägt, bewegt sich dieser Song eher im klassischen Synthpop-Gewand und gerät wieder vergleichsweise jungenhaft. Das diffuse Rauswollen, das Sich-nicht-Spüren, die etwas hölzerne Wortwahl hat etwas enorm Juveniles („Panik ergreift mich / Alles tut weh“). Es klingt fast, als würden wir hier ein wenig in die Selbstzweifel eines jungen Chris Pohl blicken, zu der Zeit, als er die Musik, die dieses Album prägte, hörte. Der Drum-Breakdown vor dem Finale ist hierbei ganz großes Kino, und die etwas fehlende Gelenkigkeit unterstreicht nur den kindlichen Charakter, der durch das Pathos sichtbar wird. Eine Hymne an das Lebensgefühl junger Menschen, die sich als Außenseiter fühlen.

Fazit: Auch auf Album Nummer 2 bietet She Hates Emotions Erfreuliches und angenehme Abwechslung – das Album ist gleichsam nerdig und eingängig, zollt zeitgleich Respekt an seine Vorbilder und umarmt offen die Selbstironie. Das Cover von “Happy Pop Music” zeigt ein zusammengesunken auf dem Boden kauerndes Mädchen neben einem Ghettoblaster mit Neonschriftzügen an der Wand – und damit ist die Grundstimmung dieses Albums eigentlich schon perfekt wiedergegeben. Chris Pohl gelingt es, seinen Idolen zu huldigen, und ein Bild des Jungseins in den Achtzigern zu zeichnen, das nachvollziehbar ist in seinem stürmischen Charakter, in seinen großen Träumen und seiner Zukunftsangst – und gleichzeitig die Banalität dieser Gedanken liebevoll aufs Korn nimmt, weil es diese Gedanken immer gibt, in jeder Generation, und weil der große Sturm und Drang sich mit dem Älterwerden immer mehr relativiert. Ohne das Wissen, dass es irgendwann nicht mehr so schlimm sein wird, wenn einem zum ersten Mal das Herz gebrochen wird, und dass man seinen Weg schon finden wird, auch wenn man sich jetzt als Außenseiter fühlt, ohne das Beschwichtigende der Lebenserfahrung beim Blick auf das eigene Erwachsenwerden würde dieses Album nicht so gut funktionieren. So dient “Happy Pop Music” als liebevolle Hommage ans Erwachsenwerden in einer hochinteressanten musikalischen Epoche.

Tracklist:

01 She Hates Emotions (Intro)
02 Space & Time
03 This Ain’t Good
04 She Takes Control
05 The One I Love
06 A Second Chance
07 Another Step Into The Future
08 This Is The End
09 Meant To Be Alone
10 No Time To Waste
11 Ich will hier weg
12 This Ain’t Good (12“ Extended Version)
13 Space & Time (12“ Extended Version)
14 Space & Time (Radio Edit)

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VÖ: 25.11.2022
Genre: Synthpop
Label: Out Of Line

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