Rammstein – Zick Zack (MCD-Kritik)

RammsteinSchöner! Größer! Härter! Zuerst kündigten Rammstein spontan die Eröffnung einer Schönheitsklinik an, dann bekamen wir nach und nach Bilder von der Band zu sehen, allesamt mit Kunsthaar und Plastik im Gesicht versehen. Nun ist es soweit: Die zweite Single des kommenden Rammstein-Albums “Zeit” ist draußen. Am Donnerstag veröffentlichte die Band „Zick Zack“ als digitale Single – eine physische Version inklusive Zeitschrift steht am 13. April in den Läden. Die Zeitschrift parodiert übrigens die Bravo und inszeniert die sechs Rammstein-Herrschaften als Stars – inklusive eigenen kleinen Portraits der Sternchen mit Sternzeichen und Beauty-Tipps, „Total Porno!“ – aber was taugt „Zick Zack“ abseits vom zugegebenermaßen brillanten Marketing?

Der Song handelt, wie schon der Titeltrack „Zeit“, im Grunde genommen vom Kampf mit dem Älterwerden. Was auf der ersten Single noch deprimiert und hoffnungslos klang, wird hier jedoch mit bissigem Kommentar begutachtet: Der Jugend- oder Schönheitswahn wird hier auf einer recht typischen Rammstein-Komposition abgehandelt. „Deine Brüste sind zu klein, zwei Pfund Silikon sind fein“ heißt es hier auf ein herrliches, entfernt an „Los“ erinnerndes Riff, bei dem Flake, ähnlich wie bei „Radio“, wieder mit exzellenten Keyboard-Sounds auf sich aufmerksam zu machen weiß. „Zick Zack, Zick Zack, schneid es ab, Tick Tack, Tick Tack, du bist alt“.

Die Lyrics basieren auf einem knapp zehn Jahre alten Gedicht von Till Lindemann, zu finden in seinem Lyrikband „In stillen Nächten“. Es geht um inflationäre Schönheitsoperationen, die förmlich für jedes Wehwehchen Abhilfe schaffen können („Alles Schlaffe überm Kinn / Kann man in den Nacken ziehen“). Passend dazu treten die sechs Mitglieder der Band teils übel zugerichtet im Musikvideo auf – Bassist Oliver Riedel gleicht hier dem Beauty-Zar und Botox-Freund Harald Glööckler bis ins pompööseste Detail, und Lindemann selbst hat mit seinem langsam herabschmelzenden Gesicht zu kämpfen. Nahezu zynisch wird das Skalpell hier als Allheilmittel betrachtet, inklusive hymnenartiger Bridge-Passage, die Versessenheit auf Äußerlichkeiten steht im Vordergrund und wird durch den Kakao gezogen. Dazu bockt das Ding musikalisch ziemlich rein und macht gute Laune, ein im Grunde sehr poppiger NDH-Song mit gutem Rhythmus, geilen Synths und einem knalligen Gitarrenriff. So weit, so gut. Aber gibt es auch einen Haken?

Es gibt derer sogar gleich zwei: Einerseits fehlt dem Song der Twist. In seinem Buch „Heute hat die Welt Geburtstag“ schreibt Flake, dass es für Rammstein-Songs typisch sei, einen C-Teil zu haben, der das Thema aus einer anderen Perspektive beleuchtet. Er nennt dies den „Aber-manchmal-Teil“, bei dem der Song praktisch seine Wendung nimmt. Ein Beispiel gefällig? Der großartige Song von „Adios“ beschreibt über die ersten zwei Strophen vor allem die Schönheit eines Drogenrausches, um im C-Teil dann vom Erleben in die Außenper- spektive zu wechseln und dann die Konsequenz zu zeigen: „Er hat die Augen aufgemacht / Doch er ist nicht aufgewacht“. Auf „Zick Zack“ hingegen fehlt dieser Teil, es fehlt der Perspektivwechsel, der die eigentliche Aussage des Songs nochmal klarifizieren könnte. Das Thema ist klar, aber welche Message gibt uns das mit? Schönheits-OPs sind doof, okay. Aber gibt es einen Appell, und wenn er auch nur so trivial wie „Wahre Schönheit kommt von innen“ ist? Dass Rammstein mit diesem Thema (das Gefühl, äußerlich unattraktiv zu sein, aber im Inneren schön zu sein) durchaus einen solchen Twist bauen kann, bewies vor achtzehn Jahren – Herrgott, sind wir alle alt – der Song „Morgenstern“: „Mit dem Herzen sehen: Sie ist wunderschön“.

Im Notfall ist das aber halb so wild. „Zick Zack“ ist offenkundig als spaßige Nummer zu verstehen, die sich über ein Phänomen der gegenwärtigen „Instagram-Gesellschaft“ und ihrer Liebe zum Oberflächlichen lustig macht. Was aber hat dann folgende Zeile zu be- deuten: „Ist die Frau im Mann nicht froh / Alles ganz weg, sowieso“? In dieser Zeile geht es offenkundig um Operationen, die der Geschlechtsumwandlung beziehungsweise -anpassung dienen. Ziehen wir das Gedicht von Till nochmal heran, denn das schildert dies noch einmal etwas direkter: „Ist er nicht froh mit seinem Steifen / Geschlecht gewechselt wie ein Reifen“. Okay, verstanden. Aber was soll diese Zeile? Geschlechtsanpassungen gehen über das Thema von rein optischen Schönheitskorrekturen hinaus, eine solche Operation steht nicht gerade in einer Linie mit Botox, Implantaten oder Liftings. Wird an dieser Art von Operation, der für gewöhnlich oft Jahre des Leidens an Dysphorie vorausgehen, auf die gleiche Art der Schmähkübel ausgekippt?

Dieser kleine Ausschnitt aus dem Text hat dann doch einen etwas eigenartigen Beige- schmack. Denn selbstverständlich ist es sehr unwahrscheinlich, dass Rammstein Trans- sexualität und Geschlechterdysphorie für ähnlich lachhaft halten wie den Versuch alternder Sternchen, für immer so auszusehen, als wären sie dreißig. Die Band Rammstein steht außer Verdacht, in jeglicher Hinsicht transphob zu sein. Schließlich schwenkte die Band bei Konzerten bereits die LGBTQI-Flagge, und Till Lindemann sagte einst in einem Interview den Satz „Transsexuelle sind wunderbar!“ So lässt diese Zeile ausdrücklich keine voreiligen Schlüsse oder Zuweisungen in irgendwelche Lager zu, wirkt hier aber trotzdem etwas unüberlegt platziert. Dass sie ein einfacher, platter Schocker sein soll, halte ich bei Rammstein, deren Provokation schließlich immer einen doppelten Boden vorweisen konnte, für unwahrscheinlich. Merkwürdig im reinsten Wortsinne ist sie auf jeden Fall – und dem einen oder anderen Twitter-User wird sie Anlass für Aufregung geben, so viel ist gewiss.

Fazit: Wem die erste Single zu lasch war, dem wird „Zick Zack“ sehr zusagen. Ein klassischer Rammstein-Song in der Tradition des unbetitelten Albums, der Spaß macht, eine schöne Breitseite liefert und ein satirisches Portrait aktueller Geschehnisse bietet. Aber gleichsam auch ein Song, der sich in der angekreideten Oberflächlichkeit möglicherweise selbst an der einen oder anderen Stelle verliert – ist er nicht nur nahezu Rammstein by the numbers, sondern vielleicht sogar zu inkonkret in seiner Message, wenn auch explizit in der Beschreibung der Themen. Auf jeden Fall ist das herrliche Musikvideo von Joern Heitmann sehr sehenswert, der diesen Song in all seiner Knalligkeit und mit ordentlich Humor herrlich umsetzt und den einzelnen Bandmitgliedern binnen viereinhalb Minuten ausreichend Raum für die Darstellung ihrer Charaktere zu schaffen weiß.

Tracklist:

01 Zick Zack
02 Zick Zack (Boys Noize Remix)
03 Zick Zack (Boys Noize Remix – Instrumental)

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VÖ: 13. April 2022
Genre: Neue Deutsche Härte
Label: Rammstein/Vertigo

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