Lotus Feed – Songs From The Silent Age (CD-Kritik)

Die Kölner Band Lotus Feed hat im Januar ihre neue Platte „Songs From The Silent Age“ veröffentlicht, und wie üblich wohnt diesem Album ein Zauber inne. Getragen vom träumerischen Post Punk-Sound der späten Siebziger und frühen Achtziger, im Geist der frühen The Cure, Joy Division und Konsorten wandeln diese zauberhaften 11 Songs von Schatten, Fehlern und dem Aufblühen im wunderbaren Vintage-Sound. Gitarrengeleitet, mit leichten Synthie-Einsätzen, und natürlich der wunderbaren Stimme des Sängers Alex, die auf keine Musik besser passen könnte als diese. Trotz seiner Rheinischen Herkunft kann dieser Sänger einen wunderbar leichten britischen Akzent vorweisen, der den New Wave-Sound ideal unterstreicht und die Zeitreise nahezu perfekt macht.

Der Sound ist eine Hommage an die frühesten Tage der Musik, die wir alle lieben. Gepaart ist er darüber hinaus auch noch mit einer leichten Kritik der Jetztzeit. „This world is turning slightly mad“ heißt es hierbei auf dem Opener „Pressure“, und so bekommt diese soundtechnische Rückbesinnung noch eine weitere Ebene. Im meisterhaft getroffenen Post-Punk-Duktus – große Dinge mit kleinen Worten sagen – wird musikalisch zurückgeblickt, da der Status Quo, die Gegenwart, ziemlich durcheinander ist. Das Thema der etwas turbulenten Moderne wird auch auf dem etwas aufgewühlt klingenden „Legacy“ aufgegriffen, das mit akzentuierten Riffs eine Spannung erzeugt, ohne zu laut zu werden. Dieses Album schlägt mit großer Präzision die ruhigen Töne an. So wird auf „Dying Sun“ eine fast schon bluesartige Attitüde abgefahren, auf eine an Bauhaus erinnernde Bassline singt der Sänger hier die Zeilen „Got the fever“ und „Out of control“. So, wie das Zusammenspiel von Text und Ton hier funktioniert, lebt der Spirit der Musik eben genau davon, dass hier nicht sonderlich viel gesagt und trotzdem das Gefühl rübergebracht wird. Am Ende des Songs hören wir, wie ein Drumstick zu Boden fällt, eine Art Mic-Drop im Kleinen. Hier wird eine große Geste ins Zurückhaltende übertragen, ins leicht Romantische.

Der romantische Aspekt, der der zitierten Musik innewohnt, das Nachdenkliche, die abgefederte Schwere, die dieses Album ausmacht, wird auch auf „Read My Mind“ gut inkludiert, welches einige Sisters Of Mercy-ähnliche Chöre in die Musik webt. Der Sound ist homogen, die Stimmung klar. Der Grundtenor des Albums: Am Ende wollen wir uns doch alle nur geliebt und sicher fühlen, wenn die diese Welt „dezent verrückt“ wird. Auch „Under Your Wings“ führt diese Grundlage weiter – diese Suche nach Sicherheit, dem Finden einer Heimat in einem anderen Menschen, zudem man halten kann. „And now as I unfold my soul, I feel like you understand me […] Your tenderness is just what I need.“ Hier spricht eine gewisse Unsicherheit, eine große Zurückhaltung, eine gewisse Grundbesorgnis, ein gewisses Gefühl, nicht ganz so dazuzugehören. Das ist ja quasi die große Kunst dieser Musik, das ursprünglichste der Gefühle, die zum Aufsteigen dieses Subgenres führte. Dieser gewisse Schmerz im Kleinen, dieses jugendliche Gefühl, diese Überforderung mit all dem Verrückten, all dem Schwachsinn, mit der Schnelligkeit der Welt, und gleichzeitig dieser Wunsch, dem zermürbend Alltäglichen zu entfliehen. Das perfekte Wort dafür lässt sich nicht wirklich ins Deutsche übersetzen: disconnect. Man loggt sich aus, flüchtet sich in das Träumen von einem kleinen bisschen Glück, Liebe, Zweisamkeit. Eigentlich möchte man doch nur, dass alles ok ist, und das kommt in einer „Friday I’m In Love“-Unschuld eben um einiges effektiver herüber.

„Sometimes I want, want to get out of here, but love is the driving force – let’s keep it alive“, singt Alex auf dem Song „Daily Race“, der schon im Titel dieses unwohle Gefühl mit dem Alltag beschreibt. Auch dafür gibt es den treffenden Begriff nur auf Englisch: „uncomfortable“. Das lyrische Ich fühlt sich in der Realität eben leicht „uncomfortable“, etwas hinterher oder daneben, jedenfalls nicht erfüllt und nicht wirklich glücklich. Dazu bietet dieses Album die perfekten Melodien, sich in die Ewigkeit ergießende Gitarrenriffs, perfekte Melancholie, eine leichte Verstimmung, ein leichtes Danebensein, ein leichtes Schattendasein, eine unterdrückte Angst vor der Welt, diese tiefe Uremotion. Es wird aneinander vorbeigeredet, alle laufen nebeneinander statt miteinander, alles geht zu schnell. Man will doch einfach nur zusammen sein, jenseits dieser Schatten, man will sich nicht von der Dunkelheit bedrückt fühlen, sondern schlicht glücklich sein. Geht es noch einfacher? Wie zum Trotz endet der Song „Shadows“ mit einem leicht höhnischen Lachen, welches ebendiese Schatten vertreiben soll. Man lacht gegen das Dunkle an, gegen die Bitterkeit, gegen die erbarmungslose Zeit.

„Songs From The Silent Age“ wird beschlossen durch die Auferstehung: „Resurrection“. Hier findet sich eine ideale Zusammenfassung des Gefühls dieses Albums im Songtext: „It is real, I could cry, and God knows why.“ Eine schöne Doppeldeutigkeit. Einerseits weiß der Gott als Schöpfer natürlich sehr wohl Bescheid über die Fehlerhaftigkeit seiner Schöpfung, andererseits ist auch hier ein gewisser Hohn: Weiß Gott, warum das alles hier irgendwie nicht so richtig funktioniert. Gleichermaßen wird hier die Konklusion gezogen, das lyrische Ich sammelt sich zusammen, steht auf, sammelt sich und sagt: „At the end, there is light.“ Ein toller Abschluss.

Fazit: Post Punk par excellence. Dieses Album klingt, als sei es 1979 geschrieben und dann irgendwie bis heute, vierzig Jahre später, nicht veröffentlicht worden. Das Lebensgefühl dieser Szene wird hier so treffend dargestellt und formuliert, wie es nur möglich ist. Die Philosophie der Songtexte liegt gerade in der Distanz, der Zurückhaltung, dem Beobachten der Welt aus dem leichten Abseits, in dem man sich eingeschlossen fühlt. Die Melancholie ist perfekt und wirkt durch die Instrumentals fundiert und rund. Keine Bitterkeit, nur der Wunsch nach ein wenig Liebe, Verständnis und Zusammenhalt. Dieser schmale Grat zwischen Schwere und unschul- diger Leichtigkeit ist vor allem eins: schön. Lotus Feed haben ein wirklich schönes Album geschrieben.

Tracklist:

01 Pressure
02 Bloom
03 Fail
04 Legacy
05 Dying Sun
06 Read my Mind
07 Under Your Wings
08 Innocence (ft. Peter Slabbynck/Red Zebra)
09 Daily Race
10 Shadows
11 Resurrection

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VÖ: 19.01.2019
Genre: Gothic Rock, New Wave, Post Punk
Label: Icy Cold Records

Lotus Feed im Web:

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