Joachim Witt – Rübezahls Rückkehr (CD-Kritik)

Joachim WittVor zwei Jahren gebar Joachim Witt ein Album, das es in sich hatte. „Rübezahl“ stampfte mit wuchtigem Schritt und opulentem Sound zum Jubel der Massen durch die Landen.

Nun kehrt der Hüne aus den Bergen zurück, und mit mächtig viel Dampf im Kessel präsentiert uns der Altmeister der Zunft nun „Rübezahls Rückkehr“. Dabei lässt sich Witt auf seine alten Tage nicht viel Zeit für große Einleitungen. „Geist an das Licht“ ist der Opener der Platte und zeichnet uns die Welt, in der wir leben, schonungslos und voller Wucht. Appellhafte Lyrik, starke Zeilen und bemerkenswerte Aktualität – „Und so schicken die Alten den Kindern den Tod“, singt Joachim Witt da und wirft uns mitten in die Situation, in der wir nunmehr leben. Die Riffs sind brachial, der Sound mitreißend, nach Sekunden steckt man knietief in der steinharten Welt des Rübezahl-Comebacks.

Bei „Kopfschwul“ handelt es sich um lupenreine NDH. In den Strophen präsentiert sich Joachim Witt als augenzwinkernd-theatralischer Lustmolch wie zu „Strenges Mädchen“- Zeiten („Die erste Waffe ist mein Degen – vielleicht wird einigen jetzt schlecht“), im Refrain entfesselt er den hymnischen Charakter durch seine wie guter Wein gereifte Stimme, wie er schon auf „Rübezahl“ vor zwei Jahren fantastisch funktionierte („Eis und Schnee“, „Goldrausch“). Die Riffs sind cool, der Text erreicht Absurditätslevel, wie Witt sie schon vor dreißig Jahren gelegentlich aufzuführen pflegte, im Großen und Ganzen macht dieser Song, der zwischen sexuellem Freigeist und sexueller Verwirrung schwankt, einfach nur verdammt gute Laune.

Neben Breitseitengitarren war ein weiteres stilprägendes Element des letzten Witt-Albums das Orchester. Dieses wird auf „Die Rückkehr“ entfesselt, und mit fernwehschwer-romantischem Text („Du bist mein Himmel, der unsere Hände festhält“) kreiert Joachim Witt eine Ballade, die Songs wie „Mein Diamant“ oder „Goldrausch“ vom Vorgänger-Album Konkurrenz machen könnte. Fast ein bisschen poppig, hier und da gemahnend an Mono Inc., hat dieser Song sehr viel Charme, sehr viel Zauber. „Schmerzende Welt“ treibt es dann jedoch ein kleines bisschen zu weit mit den Pop-Elementen. Die Streicher aus der Dose haben den schmierigen Charakter eines Songs der späten Unheilig und zeigen Witt weniger als fadenziehender, mächtiger Altmeister und mehr als leicht angestaubten Alpenschlager-Märchenonkel. Statt kalter Bergluft und schonungslosen Schneestürmen fast schon Gregorian goes noch mehr Hüttengaudi als ohnehin schon.

Auch „Gib mir den Himmel“ scheint ein wenig richtungslos. „Mein Herz schlägt nicht nur am Freitag, es schlägt schon Jahre auch montags“ erreicht leider weder die Schönheit, noch den Biss oder die Verwegenheit einiger der Vorgängertitel. Dafür rockt der Song trotz weiterem Pop-Einschlag wieder ein bisschen mehr und passt sich mehr dem epischen Geist an, aus dem der „Rübezahl“-Sound geboren wurde. Symphonischer, düsterer, überzeug- ender. Mit „Steinzeit“ bleibt das Album zwar in dem etwas poppigen Gefilde, doch der Refrain könnte sich als veritabler Headbanger durchsetzen – es gibt Symphonic-Metal-Bands, deren gesamte Diskographie so klingt wie dieser Song. Ansonsten gibt es eine schöne Pianofigur, die sich durch die Nummer zieht, ein paar pathetische Synthesizer-Chöre und ein ganz gutes Solo.

„An jedem Ort ist Heimat dort, wo das Herz zu Hause ist“, „In jedem Land ich Heimat fand, wo mein Herz zu Hause war“ – mit solchen Weisheiten gespickt kommt „Ich bin immer noch hier“ daher und kann dem Schlagerpfuhl, der sich nach Track drei plötzlich auftat, auch nicht so wirklich entkommen. Allmählich beschleicht einen die Angst, dass der Opener des Albums in eine irreführende Richtung wies. „Wo blüht der Mohn“ bringt glücklicher- weise den metallischen Drive zurück, zieht das Tempo wieder ein wenig an, und Witt experimentiert hier mehr in der Tiefe, singt zwischenzeitlich fast schon sonor und fabriziert mit erneut sozialkritischem Text endlich wieder eine überzeugende Nummer. Breit, tief, schnell, hymnisch, treibend, mit Mitsingpotential, so sollte ein Song aus dem „Rübezahl“– Epos klingen.

Auch „Zora“ ist ein weiterer Volltreffer. Todbringende Blues-Stimmung mischt sich mit Filmmusik-Charakter, symphonischen Flutlichtern und stroboskopartigen Gitarrenriffs. Witts Performance und die Instrumentierung greifen hier wieder fabelhaft Hand in Hand, man fühlt sich endlich wieder als ein Teil einer Geschichte – das größte Highlight seit dem Opener. Auch mit „Rote Tränen“ gelingt ein Song mit schönen Bildern und wuchtigem Arrangement, das durch Breite, Eingängigkeit und Lyrics innerhalb der Welt des Rübezahls. Vor allem der hörspielhafte Spoken Word-Part Witts nach zweieinhalb Minuten reichert die Bildstärke und Atmosphäre der Nummer an.

Nach einer etwas durchwachsenen Reise auf den bisherigen zehn Tracks stellt „Windstille“ das Outro, eine Retro- und Introspektive Witts dar. „Vieles bleibt Versuch, vieles war nicht klug, für das Leid wie geboren“ – die autobiographischen Elemente innerhalb der Lyrics kann kaum übersehen werden, gleichzeitig gelingt es Witt jedoch, „Rübezahls Rückkehr“ zwar mit einem Punkt enden zu lassen, doch nicht alle Fragen zu klären. Steht das „weiße Licht“ für den Tod? Für den inneren Frieden? Bis wir diese Fragen beantwortet haben, bleibt ein pompöser Song mit starker Melodie, nicht zu verachtender Emotionalität und viel Atmosphäre und Energie, die das Album gelungen abschließt.

Fazit: Damit wir uns nicht falsch verstehen: Joachim Witt hat es zweifelsohne noch drauf. Dennoch muss festgehalten werden, dass „Rübezahls Rückkehr“ dem Vorgänger nur bedingt das Wasser reicht. Während „Geist an das Licht“ das Versprechen eines kompromissloseren, mächtigeren Sounds abzulegen scheint, hat das Album in Richtung Mitte eine erstaunliche Durststrecke, die die Düsternis und Breite des vorherigen Witt-Albums mit Belanglosigkeit und skurrilen Schlager-Anmaßungen untergräbt. Während Witt sich auf einigen Songs mit teilweise großartiger Lyrik oder frecher Attitüde als der kosmopolitische Romantiker behauptet, den wir kennen und lieben, wirkt „Rübezahls Rückkehr“ zwischenzeitlich ärgerlich zahnlos, inhalts- sowie wortschwach und anbiedernd. Nach dem famosen ersten Teil hinterlässt die Fortsetzung nunmehr den durchwachsenen Eindruck einer halb gelungenen Platte – sehr starker Anfang, sehr starkes Ende, doch was zwischen „Die Rückkehr“ und „Wo blüht der Mohn“ passiert, wirkt wie ein Ausrutscher. Doch konzentrieren wir uns auf die teils brillante gute Hälfte dieses Albums. Meine Empfehlungen aus dieser: „Geist an das Licht“, „Zora“ und „Kopfschwul“.

Tracklist:

01 Geist an das Licht
02 Kopfschwul
03 Die Rückkehr
04 Schmerzende Welt
05 Gib mir den Himmel
06 Steinzeit
07 Ich bin immer noch hier
08 Wo blüht der Mohn
09 Zora
10 Rote Tränen
11 Windstille

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Release: 08.05.2020
Genre: Gothic Rock
Label: Ventil / Schubert Music Agency GmbH

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