Heldmaschine – Im Fadenkreuz (CD-Kritik)

HeldmaschineÜber Nacht überraschten uns Heldmaschine mit ihrem nunmehr fünften Studioalbum „Im Fadenkreuz“. Noch nie war der zeitliche Abschnitt zwischen zwei Alben der NDH-Gruppe so lang – „Himmelskörper“ erschien vor mittlerweile fast drei Jahren. Veröffentlichten die Mannen um Frontmann René Anlauff früher jährlich neue Platten, ließen sie sich für dieses Album nun länger Zeit. Das macht sich bemerkbar. Mit jedem Album hat sich die Heldmaschine immer weiter Richtung Individualität entwickelt. Vergleicht man das Debüt „Weichen & Zunder“ mit diesem Album, merkt man, dass die Band mit großen Schritten vorangegangen ist.

„Leck mich fett“ brettert ziemlich ordentlich rein, René würgt einige seiner Screams regel- recht hervor, schwankt zwischen expliziten Aussagen („das Internet mit Hirnschmiss zu beschmieren“) und einem englischen Refrain: „Message to all, we’re in the middle of a virtual world war“. Gewohnt hymnisch, wie man es von der Vorgängerplatte gewohnt ist, verkündet die Band: „Ich konstruiere mir ‘ne Arschloch-Firewall.“ Mit diesem Song knüpfen sie noch an den Sound des Vorgängeralbums an, somit gelingt der Einstieg als Übergang ins Neue. Auf „Luxus“ wandelt es sich. Es wird etwas gothic-rockiger, mit augenzwinkernd sozialkritischem Text kommt dieser Song als kleiner Hakenschlag mit leichtem Pop-Appeal daher, besonders dank der Beteiligung von Eva-Maria Kagermann im Refrain. „Zwei Sekunden“ ist klassische NDH mit Halb-Sprechgesang und erzählt im Stil von „Schwere- los“ eine kleine Geschichte. Die Strophen reiben ordentlich, der Refrain lädt zum Mitsingen ein, und der C-Teil vervollständigt die Dramaturgie.

Ein Album-Highlight ist auf jeden Fall der Song „Die Geister, die ich rief“, ein klassischer Headbanger, mit knackigen Riffs und sehr epischem Refrain. Mit einem hypnotischen „Lalala“, über das der Text gesungen wird, sorgt für eine sehr schöne Atmosphäre. Das hat fast schon was von Symphonic Metal. So groß klangen Heldmaschine bis dato noch nicht. „Springt!“ ist eine selbstironische Rock-Nummer mit Mitmachrefrain. Der Text ist herrlich over-the-top („Wir sind Rock’n’Roll-Propheten, ihr solltet uns anbeten“), das Lied macht einfach gehörig viel Spaß. Da wird man auf der „Im Fadenkreuz“-Tour definitiv ordentlich mitspringen können. Meine Lieblingszeile: „Wir haben das Rad erfunden – und nur zufriedene Kunden“. Einer dieser zufriedenen Kunden schreibt gerade diese Rezension!

„Härter“ kesselt auch ordentlich, wird dem Titel auf jeden Fall gerecht und haut volle Möhre auf die Kacke. Der Text bedient sich zwar leider einiger sehr ausgeleierter Bilder, aber diese Bridge macht das wieder wett. Da kann man auf jeden Fall gut zu abgehen. Mit böse brodelnden Synthesizern, wie sie mir aus „Lügen“-Zeiten in sehr positiver Erinnerung geblieben sind, beginnt schließlich „Ich, ich, ich“. Wie einige andere der Songs auf diesem Album wurde diese Nummer schon auf der EP „Volles Brett“ Anfang des Jahres veröffentlicht. Neu abgemischt macht der Song auf „Im Fadenkreuz“ eine wirklich gute Figur. Ruppig hacken die Gitarren aufwühlend im Instrumental unter der Strophe, bevor sich ein sehr zufriedenstellender und erfüllender NDH-Refrain mit ordentlich Attitüde über den Hörer ergießt. Sehr schön!

Dann jedoch kommt ein Song, der mich am Anfang etwas irritiert. „Gottverdammter Mensch“ klingt ein wenig nach schmierigem Softporno-Soundtrack und René klingt hier ein wenig wie ein etwas irritierter Leonard Cohen. Es ist eine Halbschnulze, von der ich hoffe, dass sie nicht ernst gemeint ist, weil sie so platt ist, dass ich sie nicht ernstnehmen kann. „Ich weiß ja nicht mal, ob ich mir selbst noch trauen kaaaaann! Ich bin ein Meeeeensch!“ – Sorry Jungs, da höre ich lieber „Einmal ist keinmal“ oder „Die Braut, das Meer“. Oder den nächsten Song, der nämlich „Klingt wie Rammstein“. René lässt voll und ganz seinen inneren Till Lindemann raushängen, die Nummer gewittert wirklich wie ein gutes Stück von der Band, aus deren Tribute-Gruppe die Heldmaschine ursprünglich erstanden sind. Das Geile am Song: Er ist ein sehr treffendes Gesellschaftsportrait, und der Refrain zündet beim ersten Hören sofort, und zwar nicht nur als die sich augenzwinkernd selbst diagnostizierte Rammstein-Kopie. Im Höhepunkt des Songs merkt man, dass die Heldmaschine sich eben durchaus vom stets von Kritikern herbeizitierten Genregiganten zu unterscheiden weiß. So ist der Songtitel mehr ein Mittelfinger an die Kritiker, das Lied selbst eine sehr gelungene Hommage mit eigenem Einschlag.

Auch „Gottverdammter Mensch“ als irgendwie seltsame Ballade wird mit dem außer- ordentlich atmosphärischen „Leben“ gut wettgemacht. Der Song hat Power und scheut trotzdem nicht vor Düsternis. Hava Kagermann steuert hier Gast-Vocals bei, und der Song wirkt einerseits, als spräche er dem Hörer aus der Seele, andererseits lässt er auch Raum für Interpretation. Vor allem ein Sample aus einer US-amerikanischen Nachrichtensendung lässt Spekulationen offen. Beschreibt dieser Song möglicherweise die Perspektive eines Flüchtlings, der sich in ein sicheres Land retten will? „Du willst nur leben und entkommst dem sicheren Tod“ – Anspielstation 10 auf „Im Fadenkreuz“ regt erfolgreich zum Nachden- ken an.

Mit Drive und Energie bieten uns Heldmaschine eine weitere Hymne an die Freundschaft, vielleicht sogar an die Fans. Wie auch schon auf „Dünnes Eis“ wird auf „Wie ein Orkan“ die Stärke des Zusammenhalts besungen. Auch hier wird eine gewisse Offenheit in Richtung Gothic Rock bewiesen, der Text ist vielleicht ein bisschen Tote-Hosen-mäßig, doch der eigene Twist gelingt. Eine halbe Tradition bei Heldmaschine-Alben ist ja, dass der zwölfte und letzte Song meist ein wenig ironisch ist. Ob nun die Cover-Songs „La Paloma“ oder „Die Roboter“ auf Album 1 und 3 oder der Blödel-Titeltrack auf „Propaganda“. Diese Idee wird jetzt wieder mit „Maschinenliebe“ aufgegriffen, ein stampfender Tanzsong ganz im Stil der ersten beiden Alben. Dominierend sind hier vor allem die fiesen Synthesizer, angefüttert mit einigen Gitarrenakzenten. Ein klassisches Outro für die Band und der Abschluss von „Im Fadenkreuz“.

Fazit: Die Band kündigte an, dieses Album sei ihr bisher facettenreichstes. Das stimmt auch. Auf Longplayer Nummer fünf überzeugt die Band mit Individualität, ist mal frech, mal nachdenklich, mal aber eben auch ein wenig plakativ. Spaß macht „Im Fadenkreuz“ auf jeden Fall, und auch schlechte Songs sucht man vergebens. Einzig „Gottverdammter Mensch“ irritiert ein wenig als wenig tiefsinniges „Baby, es tut mir leid“-Spoken-Word-Piece, der Rest des Albums liefert einige Highlights des bisherigen Maschinenopus‘. Besonders viel Spaß machen „Springt!“, „Die Geister die ich rief“ und „Klingt wie Rammstein“, auch die anderen Songs wirken sehr ausgereift und zeugen von großer, dieser Band innewohnender Energie. Wie bisher gelingt die Weiterentwicklung der Heldma- schine mit jedem Album, und hier wird auch wieder ordentlich abgeliefert. Weiter so, Jungs!

Tracklist:

01 Leck mich fett
02 Luxus
03 Drei Sekunden
04 Die Geister die ich rief
05 Springt!
06 Härter
07 Ich, ich, ich
08 Gottverdammter Mensch
09 Klingt wie Rammstein
10 Leben
11 Wie ein Orkan
12 Maschinenliebe

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VÖ: 27.09.2019
Genre: NDH
Label: Mp-Records (Soulfood)

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