Front Line Assembly – Mechanical Soul (CD-Kritik)

Front Line AssemblyFront Line Assembly bringen das Musikjahr 2021 ordentlich in Schwung und entblößen ihre mechanischen Seelen. Mechanical Soul, das nach meiner Zählung zwanzigste Album der Kanadier, liefert erwartungsgemäß ordentlich ab – Profis sind hier am Werk, und das schlägt sich in (dem Land angemessen) eiskalten Beats und großartigen Beats nieder.

Wird “Purge“ noch eingeleitet mit bedrohlich-epileptischen Synth-Anschlägen eingeleitet (vergleichbar unter anderem mit “Vision 2020 Vision“ der Krupps), um die Bedrohlichkeit danach durch einige zerhackte Voice-Samples, atmosphärischen Sounds und gekonnter Zurückhaltung zu manifestieren, kann sich zu “Glass and Leather“ schon ordentlich ausgeschüttelt werden. So schön furzt hier die bassige Melodie vor sich hin, da hämmern die Drums nur so vor sich hin, dass es einfach nur gute Laune verbreiten kann.

Auch “Unknown“ lässt nichts anbrennen. „The last nail for civilization“ wird hier intoniert, eine dystopische – ja, fast schon umweltaktivistische Hymne, die mit leichtem Future Pop-Einschlag ebendiese Zukunft anhand von Überbevölkerung und verschmutzten Meeren erzählt. Folgerichtig geht es weiter mit “New World“, dessen Einstieg fast wie der Soundtrack eines alten Monkey Island-Spiels daherkommt. Meditativ, ruhig, und dennoch in sich brodelnd und mit den altbekannten verzerrten Vocals, liegt der Fokus auch hier eindeutig auf der Verspieltheit der Synthesizer.

Aber kommen wir zu etwas völlig anderem: Sex! Ein “Rubber Tube Gag“ ist eine Art Knebel aus Gummi, der mit einem der Luftzufuhr dienenden Schlauch daherkommt. Natürlich bleiben da Zeilen wie „You bite it“ auf keinen Fall aus, und auch ansonsten klingt der Song entsprechend düster, dominant und drängend daher: „Close the door / The pain is real / You cry / You cry for more“! Ob da der Titel des nächsten Songs “Stifle“, zu deutsch: ersticken, einen Hinweis bietet, wie dieses Liebesspiel ausgeht? Mit seiner dominanten E-Gitarre und dem gedrosselten Tempo schlägt diese Nummer fabelhaft ein, ist ungeheuer stimmungsvoll, eindringlich und wirkt fast etwas klaustrophobisch, und der Refrain erinnert fast schon an die eine oder andere modernere Marilyn Manson-Nummer. Der Albummittelpunkt gestaltet sich ungeheuer stimmig, heiß, metallisch und entfesselt Abwärtsspiralengefühle.

Mit “Alone“ bekommen wir es düster und mit ordentlich Industrial-im-Inneren-einer-Maschi- ne-Geräuschen besorgt, während “Barbarians“ mit den bisher wohl „saubersten“ Vocals daherkommt. Dramatisch und cineastisch – schade, dass der Refrain ein bisschen ent- täuscht, hebt er sich von den Strophen doch nur eher wenig ab. Aber dies sei verziehen, denn die Atmosphäre stimmt trotz der größtenteils ausbleibenden Klimax und sorgt fast schon für ein wenig Gänsehaut.

Hinter dem grammatikalisch etwas fragwürdigen Titel “Komm, stirbt mit mir“ versteckt sich ein deutschsprachiger Song mit ordentlich Retro- und EBM-Flair, etwas minimalistischer als der Rest der Songs, trotzdem genauso wirkungsvoll. Lyrisch lebt der Dadaismus hier aber auf durchaus großem Fuß: „Der Körper ist kalt / Aber nicht sehr alt“, „Alles ist tot“, „Die Liebe ist hier“, „Die Angst in der Nacht“ – mit ein wenig Akzent wird hier sehr gut demonstriert, dass die an sich doch relativ harte deutsche Sprache, die sich gleichsam fabelhaft für ordentlich Stakkato eignet, sehr gut mit Industrial harmoniert. Und auch ein wohlplatziertes „Eins, zwei, drei, vier!“ ist natürlich mit von der Partie.

Mit im Vergleich fast schon krimineller Kürze geht das Album mit “Time Lapse“ in die letzte Runde. Ebenfalls wieder zurückgelehnter, und doch nicht weniger bedrückend, wird in diesem sphärischen, düsteren und lyrisch minimalistischem Stück mit wenig Worten und vielschichtigem Arrangement das Album zu einem Abschluss gebracht. Nur eine Handvoll rar gesäter Worte, die lange nachhalten, auf dem mit Samples reich bestückten, schwer atmen- den Instrumental, entsteht ein stimmungsvolles Finale, dessen letzte Sekunden nach und nach verfließen. Als Dreingabe gibt es den ausgesprochen gelungenen minimal-technoiden Black Asteroid Remix von “Hatevol“, an dessen Ende sich nach einer kleinen Wartezeit ein kurzes, äußerst angenehm klingendes Instrumental anschließt.

Fazit: Mit einer sich über sechsunddreißig Jahre erstreckenden Historie, unzähligen Studio- alben und mancherlei Hits haben sich Front Line Assembly einen gewissen Status in der Industrial-Szene erarbeitet, dem sie auf Mechanical Soul auf ein Neues gerecht werden. Variabel und soundtechnisch an keiner Stelle zu beanstanden erzählen die Songs von Dystopien, Machtverhältnissen und Gefühlen, oder der Abwesenheit solcher. Eine vergnüg- liche Platte von knapp einer Stunde Dauer wird uns hier geboten, durchweg unterhaltend, das eine oder andere Mal sehr hittig, durchgängig düster und – im Falle des doch etwas phrasenhaften Textes von “Komm, stirbt mit mir“ – auch gelegentlich amüsant. Mechanical Soul ist ein gutes, handwerklich sauberes Album geworden, das das Genreblending, in dem FLA sich hier und da ausprobierten, gut auf eine vielschichtige Platte komprimiert, die nicht eine Sekunde langweilig wird. Besondere Anspieltipps: “Glass and Leather“, “Unknown“ und “Stifle“.

Tracklist:

01 Purge
02 Glass and Leather
03 Unknown
04 New World
05 Rubber Tube Gag
06 Stifle
07 Alone
08 Barbarians
09 Komm, stirbt mit mir
10 Time Lapse
11 Havetol (Black Asteroid Remix)

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VÖ: 15.01.2021
Genre: Electro-Industrial
Label: Metropolis Records

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