Depeche Mode – Memento Mori (CD-Kritik)

Depeche ModeDer Tod von Andrew Fletcher liegt noch nicht einmal ein Jahr zurück, da erscheint bereits das erste Album von Depeche Mode als Zwei-Mann-Band. Dass die britische Synthpop-Band spätestens seit A Broken Frame (1982) dem Schwermut nicht abgeneigt ist, ändert nichts an dem etwas gruseligen Umstand, dass der neue, mittlerweile fünfzehnte Longplayer Memento Mori sich ausgiebig mit der eigenen Sterblichkeit auseinandersetzt. Die Songs entstanden bereits vor dem Tod von Fletch, aufgenommen wurden sie nur wenige Wochen später.

Dass dieses Album überhaupt existiert, ist ein kleines Wunder in sich. Herrschte bis 2017 in der Depeche Mode-Maschinerie ein bestimmter Rhythmus – alle vier Jahre ein neues Album, dazwischen eineinhalb Jahre Welttournee, dann Pause, dann von vorn – blieb es nach Spirit (2017) lange Zeit ziemlich still. Gore und Gahan, ohnehin nicht als beste Freunde bekannt, tobten sich in Nebenprojekten aus, und der Einzug in die Rock’n’Roll Hall Of Fame hatte das Odeur eines Preises fürs Lebenswerk, einer Würdigung mit Finalcharakter. Der Tod von Gründungs- mitglied Fletcher gab vielen Leuten ein Gefühl von Gewissheit, dass es das dann wohl wirklich gewesen sei.

Doch nun ist das Album seit zwei Wochen draußen, und man kann sagen: Fletch hätte an diesem Album seine Freude gehabt. 2023, sechs Jahre nach dem mittelmäßig gealterten Spirit (2017), besinnen sich Songwriting-Mastermind Martin Gore und Goldkehle Dave Gahan auf die eigene musikalische Historie. Nicht nur die Tracklist zitiert bekanntes Material („Don’t Say You Love Me“ war nicht zuletzt eine Zeile des Refrains von „It’s No Good“), auch die Songs schlagen stark Achtziger-beeinflusst an. Memento Mori vereint tanzbarere Rhythmik („People Are Good“) mit einer gewissen Sperrigkeit („My Cosmos Is Mine“) und finsteren Themen („Speak To Me“).

Mit Memento Mori legen die Legenden des Synthpop ein unglaublich düsteres Album vor, das den Bluespfaden seiner Vorgänger jedoch den Rücken zukehrt. So kommt „Ghosts Again“ mit Melodien daher, die fast die Dudeligkeit der Vince Clark-Ära in sich tragen. „My Cosmos Is Mine“ ist ein fast schon arhythmisches Stück klobiger Sounds, mit dem Industrial-Charm von Titeln wie „Pipeline“. „Wagging Tongue“ stolziert straightforward durch die Anlage, mit einer gewissen Dosis Attitüde, jedoch nicht ohne Eleganz. „My Favourite Stranger“ und „People Are Good“ erinnern stark an die Alben von Construction Time Again (1983) bis Music For The Masses (1987). „Don’t Say You Love Me“ kommt mit mächtig Drama daher und klingt wie eine besser umgesetzte Variante des eher netten „The Worst Crime“ der letzten Platte, und auch die mantraartige Sehnsuchtshymne „Never Let Me Go“ drängt sich ordentlich in den Vordergrund. „Speak To Me“ ist eine weitere Gahan’sche Aufarbeitung der eigenen Drogengeschichte, die durch zurückgenommene Instrumentierung und lärmiges Outro mitten ins Herz trifft. Einzig und allein der Gore’sche Alleingang „Soul With Me“ verebbt etwas uninteressant.

Mit jeweils über sechzig Lenzen auf den Buckeln holen die Protagonisten hier alles aus sich heraus, Dave traut sich gesanglich wieder etwas mehr Weiche anstelle seines gepressten Blues-Kratzen, und Martins Kreativpartnerschaft mit Richard Butler von den Psychedelic Furs bringt einige der schönsten und spannendsten Depeche Mode-Nummern des Jahrtausends hervor. Und während Memento Mori das eigene Altern, die eigene Sterblichkeit immer wieder aufgreift, so wirkt das Album dennoch wie ein Trotzdem, wie ein Aufbäumen gegen den Tod. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Symbiose Gahan/Gore hier ganz neu Fahrt aufnimmt. Gab es hier in den letzten zwei Jahrzehnten einen nicht selten auch öffentlich ausgetragenen Hahnenkampf samt eher zweckmäßiger Arbeitsbeziehung, halten beide Männer sich hier die Stange und schweißen sich zusammen, während sie trotz all der Düsternis am Leben festhalten und es zelebrieren. Gore steht seinem Kumpanen auch auf den von Gahan geschriebenen Songs mit seinen charakteristischen Backing-Vocals mehr zur Seite als jemals zuvor, so darf sich Dave durchaus als ebenbürtiger Kreativpartner betrachtet fühlen – und das mit Recht, denn seine Kompositionen für diese Platte haben es mächtig in sich, und insbesondere die Kooperation „Wagging Tongue“ darf sich sehen lassen.

Auch das bedeutet Memento Mori: Im Angesicht der unumgänglichen Endlichkeit das Beste aus der bisherigen Zeit herauszuholen. Und man hört diesem Album Liebe und Hingabe an, trotz all der Bitterkeit, die sich teilweise auch in einem Depeche Mode-typischen sarkastischen Humor abbildet. Besagtes Trotzdem bezieht sich hierbei nicht nur auf die Sterblichkeit ganz allgemein, sondern steht auch im unmittelbaren Zusammenhang mit Fletchs Tod. Nicht wenige Fans munkelten, dass mit dem Ableben des großen Vermittlers der Band, der in Momenten, in denen es zwischen den beiden Front-Sturköpfen krachte, schlichtete und abwog, das Ende von Depeche Mode gekommen sei. Dass gerade diese zwei Sturköpfe sich jetzt zusammenraufen und nebst ihrem vielleicht besten Album des Jahrtausends auch noch aufs Neue eine umfangreiche Welt- tournee auf die Beine stellen, ist schön, miterleben zu dürfen.

Fazit: Memento Mori ist ein Album, mit dem in dieser Form nicht zu rechnen war. Weder mit seiner bloßen Existenz angesichts des Alters der Protagonisten oder der vorhergegangenen „Dürrezeit“, die primär mit Neuaufgüssen des Backkatalogs vertrieben wurde – noch mit seiner Qualität. Depeche Mode haben alles erreicht, und der tragische Verlust eines Begleiters der ersten Stunde wäre neben allem anderen Grund genug gewesen, das Zepter aus der Hand zu legen. Stattdessen beweisen uns Dave und Martin erneut ihr Können und bieten neben Fanservice vor allem eine Magie und, trotz aller Morbidität und Faszination für den Tod, Lebenslust und Hoffnung an. Memento Mori ist zugleich Spät- und Meisterwerk, das sich Eigenartigkeit und Sperrigkeit erlaubt und gleichsam hochwertigen Pop for the masses beinhaltet. Die Hörerschaft würdigt dies zurecht entsprechend: das Album steht auch zwei Wochen nach Veröffentlichung noch an der Spitze der deutschen Charts.

Tracklist:

01 My Cosmos Is Mine
02 Wagging Tongue
03 Ghosts Again
04 Don’t Say You Love Me
05 My Favourite Stranger
06 Soul With Me
07 Caroline’s Monkey
08 Before We Drown
09 People Are Good
10 Always You
11 Never Let Me Go
12 Speak To Me

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VÖ: 24.03. 2023
Genre: Synthpop
Label: Sony Music

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