Deine Lakaien – Dual+ (CD-Kritik)

Deine LakaienEs ist gerade einmal ein halbes Jahr her, dass Deine Lakaien uns mit dem Doppelalbum “Dual“ beglückten, das nicht nur bei mir auf große Zustimmung stoß, sondern auch gleich noch die Top 10 der Charts stürmte. Seinerzeit gab es zehn Cover, zehn Eigenkompositionen. Jetzt, im November, legen sie nach: “Dual+“ umfasst weitere zehn Songs und bietet neben Mut zum Experiment und harten Umbrüchen auch einen exzellenten Herbst-Soundtrack. Schon das warme und mystisch-folkig wirkende „Cradle Song“ ist so zärtlich und tiefgehend, so liebevoll und gleichsam von so abstrakter Tragik, dass man sich darin einwickeln möchte wie in Daunenbettwäsche. “I will take you to a place safe and warm / To a place that you will call home“

Was Deine Lakaien auf dem Vorgänger “Dual“ taten, war eine Art Frage-Antwort-Spiel. Eigenkomposition antwortet auf Coverversion – „Run“ und „The Walk“, „Because Of Because“ auf „Because The Night“. Dieses Konzept wird hier weitergeführt, wenn auch bei weitem nicht so stringent: numerisch zum Beispiel überwiegen auf “Dual+“ die Eigenkompositionen knapp. Trotzdem besteht unter anderem ein Zusammenhang zwischen den Songs „Nightfall“ und dem Pink Floyd-Cover „Set the Controls for the Heart of the Sun“. Beide Nummern kommen hierbei elektronischer daher, „Nightfall“ hat sogar einen gewissen Industrial-Einschlag in den metallischen Drum-Sounds. Die Band selbst bezeichnet ihn als „einen in jeder Hinsicht typischen Deine-Lakaien-Song“, und damit einher geht die ungeheure Stimmung: das sich hypnotisch langsam erhebende Instrumental bildet mit Veljanovs Gesang eine verlockende Symbiose. „Set the Controls“ hingegen kommt etwas bedrohlicher daher, bleibt aber gleichermaßen subtil, minimalistisch und anmutig, verzerrte Orgelklänge mischen sich mit 80er-Synthies, die einen hochatmosphärischen Klangteppich ausrollen. Auch „Self-Seeker“ gerät anfänglich etwas industrieller, ergießt sich im Refrain aber zu einer obskuren, gleichsam poppigen und abstrusen Angelegenheit, die irgendwo zwischen knalligen NDW-Drums, puckernden Synthies und fast schon Polka-artigen Klängen oszilliert. Zwischen stöhnenden Maschinen und Geräuschen, als würde man Domino mit Keyboards spielen, entsteht etwas Merkwürdiges und Faszinierendes. „Run (2nd Version)“ ist im Vergleich zur eher elektronischen Interpretation auf dem ersten “Dual“-Album orchestraler und räumiger, Klavier, Streicher und diverse Saiteninstrumente geben dem traditionell-synthpoppigeren Original einen spannenden, operntauglichen Twist.

Dreißig Jahre nach Veröffentlichung des Originals von R.E.M. verpassen die beiden Avant- garde-Großmeister dem wunderbaren „Losing My Religion“ einen akustischen Anstrich, der reduziert auf technisch beeindruckendes Klavierspiel, dezenten Streichereinsatz und Veljanovs flehendes Organ eine wundervolle Kraft entwickelt, die das Thema des Songs – hoffnungslose Liebe – auf eine nach innen gerichtet ungeheuer starke Weise unterstreicht. Ja, hier spielt für die meiste Zeit nur ein einziges Klavier, doch tut es dies mit derartiger Hektik und Fingerfertigkeit, dass es fast schon sinnbildlich für die Selbstzweifel und die innere Zerrissenheit steht – im Leisen so laut. Mit „Mr. DNA“, im Original ein fast schon punkiger D-Zug von einem New Wave-Song, wird gleich die nächste Coverversion nachge- reicht. Dem Wilden und Chaotischen der DEVO-Version setzen Deine Lakaien eine weitere stilvolle Piano-Eskalation entgegen, die fast schon Bohemian Rhapsody-artige Züge annimmt, wenn Veljanovs Vocals zum Chor gestapelt werden und sich in einem manischen Call-and-Response wiederfinden. Wie so oft entsteht bei mir beim Hören dieser Musik das Gefühl, als betrachte ich ein wahnwitziges Kammerspiel, in dem das Kleine riesengroß wird.

„Altruist“ hingegen baut sich zu einem wahnsinnigen Soundteppich auf, darin eingewoben große Streicher und Bläser, aber auch maschinelle, bassige, teils sirenenartige Synth-Sounds, die in ihrem Zusammenspiel gleichermaßen lauwarme Melancholie und ständige Unge- haltenheit ergeben, komplettiert durch etwas, dass sich wie gesampelte Schritte über Schotter anhört. Dazu singt in gewohnter Zärtlichkeit und voller wehmütiger Sehnsucht Alexander Veljanov über eine Frau, die die Ablehnung und die Egozentrik ihrer Umwelt aus Selbstlosigkeit über sich ergehen lässt. Der Stimmungswechsel, der sich mit dem Übergang zu „Fork“ ergibt, könnte gravierender kaum sein. Dies ist der wohl lauteste Song des Albums, rasant, durcheinander, knallen einem die verschiedenen Sounds und Eindrücke nur so um die Ohren, bis es förmlich fiept. Construction Time Again meets Nouvelle Musique, es ist fast cartoonesk.

Das russische „Wiegenlied“ hingegen schließt förmlich am „Cradle Song“ an, verbreitet eine ähnliche Wärme und Wohlgefühl, träumerisch und magisch. Zum Abschluss des im Vergleich zum doppelt so langem ersten “Dual“-Album eher kompakten “Dual+“ holen die Lakaien uns hier auf ergreifende Weise zurück auf den Boden, und geleiten uns zurück in die November- nächte.

Fazit: “Dual+“ ist, anders als der Titel suggeriert, mehr als nur ein Bonus, sondern eine Fortsetzung, die auf ihre Weise zu glänzen weiß. Deine Lakaien beweisen den Mut zu starken Kontrasten und Dynamiken zwischen Kammermusik und in alle Richtung stiebender Electro-Avantgarde. Immer wieder überraschend, geheimnisvoll, minimalistisch und über- fordernd, öffnen Deine Lakaien hier eine Welt nach der anderen und inszenieren große Bilder mit teils stark reduzierten Ressourcen. Faszinierend und kunstvoll, und durch die Kompaktheit (anders als beim Doppelalbum aus dem April) durchgängig wahnsinnig interessant, ist “Dual+“ (zusammen mit dem Vorgänger) wohl die niveauvollste Art der Unterhaltung, die sich gerade finden dürfte. Es ist fast schon erschreckend, dass Deine Lakaien innerhalb eines halben Jahres ein weiteres so fesselndes Werk vorzulegen imstande sind, das nicht nur an “Dual“ anschließen kann, sondern auch einen eigenen Zauber beweist.

Tracklist:

01 Cradle Song
02 Nightfall
03 Set the Controls for the Heart of the Sun (Pink Floyd cover)
04 Self-Seeker
05 Run (2nd Version)
06 Losing My Religion (R.E.M. cover)
07 Mr. DNA (DEVO cover)
08 Altruist
09 Fork
10 Wiegenlied (trad., Michail Iwanowitsch Glinka)

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Release: 26.11.2021
Genre: Avantgarde
Label: Chrom Records

Deine Lakaien – Dual Tour 2022

11.02.2022 Dortmund, FZW
13.02.2022 Hannover, Capitol
15.02.2022 Nürnberg, Löwensaal
16.02.2022 Erfurt, HsD Gewerkschaftshaus
17.02.2022 Frankfurt am Main, Batschkapp
18.02.2022 Stuttgart, Wagenhallen
19.02.2022 München, Muffathalle
07.10.2022 Köln, Tanzbrunnen
08.10.2022 Berlin, Admiralspalast
20.10.2022 Leipzig, Gewandhaus
27.10.2022 Dresden, Kulturpalast
28.10.2022 Bremen, Metropol Theater
29.10.2022 Ludwigsburg, Scala
30.10.2022 Wiesbaden, Kurhaus

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