DaGeist – Sexy (CD-Kritik)

Bei einem Album mit dem Titel „Sexy“ erwartet man etwas Anzügliches, Verführerisches, eindeutig Zweideutiges, Freches. Viel besser aber ist das, was das französische Electro-Projekt DaGeist auf der zweiten Platte der Gruppe damit verbindet: Die zwölf Songs sind mitnichten augenzwinkernde Beischlaf-Oden, sondern sinnlich, teils sehr introver- tiert, mystisch und gerade dadurch einnehmend und auf eigene Weise anziehend.

Schon der fast sieben Minuten lange Opener „Virgin“ strahlt eine enorme Dunkelheit aus, mit unterschwelliger Spannung und einem ambivalenten Blick auf das Thema Sexualität. Es wirkt wie die Aufregung unmittelbar vor der Tat. Dann setzt „Just Like You“ ein, getrieben durch New-Wave- und Cold-Wave-Einflüsse, Melancholie, Romantik und der Sehnsucht nach Zuneigung. Der Geliebte wird hier beschworen, gerufen, herbeigewünscht, aus Angst davor, alleine zu sein. Das Grundgefühl: Man besteht in dem hier beschriebenen Zwei- gespann nur als eine Hälfte eines Ganzen. Der eine Partner vergöttert den anderen, sucht seinen Arm, seinen Beistand, will ihm gerecht und ebenbürtig werden. Die Aufopferung und die Hingabe gegenüber einer anderen Person, die teilweise zu großer Zerrissenheit in einer Beziehung führen kann.

„So Cold So Dark So New“ reichert das Thema schon allein mit dem Titel an: Unvergleich- bar mit allem, was vorher da war, macht die emotionale Verbindung nun zu einem nicht unerheblichen Stück einer fleischlichen Platz. So klingt der Song, als stünden zwei Leute an unterschiedlichen Enden des Raumes, und diese versuchten nun, die Distanz zueinander zu verringern. „Come with me“, singt Davide, was an das Vertrauen und ein Stückweit den Mut erinnert, den es benötigt, sich der Sexualität zu stellen. „Pray on tv, truth for all time“ leitet in den nächsten Song, „Truth“, der vor allem durch seine Komposition sehr sexy daher kommt. „Look away and feel ready“ ist eine weitere Zeile, die an das Oberthema der Platte anknüpft. „Truth is not reality“, heißt es hier, und dieser Song zieht den Hörer über seine fünf Minuten Spielzeit mehr und mehr in seinen mystischen Bann.

Zusammen ist man weniger allein, sagt man gerne. „I Am Alone“ jedoch beschreibt ein komplett gegenteiliges Sentiment. Hier wird emotionale Unerfülltheit besungen, die Angst, sich trotz einer Partnerschaft allein zu fühlen. So fragt der Protagonist: „Why don’t you save me“, „Why don’t you love me“. Wer schon einmal das Gefühl hatte, einem Partner nicht zu genügen, wird diesen Song verstehen können. Der folgende Song, „Don’t Close Your Eyes“ spielt zwar auch mit Worten wie „misery“ und „agony“ oder Phrasen à la „You can’t change now“, doch bietet dieser Song durch seinen tanzbaren Beat erneut einen zwiespältigen Blick. Zwischen Adrenalin und Zögern nickt man zu diesem Song mit und fühlt gleichzeitig eine gewisse Aufregung im Kontrast zum schön-weichen Gesang und den hübschen, kleinen, sich verwebenden Melodien.

Wenn ein Song „Kiss Or Kill“ heißt, weiß man, dass es hier ein bisschen anrüchiger werden kann. Unterschwellige Gefahr, Risiko, und gleichzeitig Thrill, Neugier, das unmittelbar nebeneinanderliegende Gute und Böse, garniert mit einigen schönen knalligen Drums und sirenenartigen Synthies, die hier und da ordentlich die 80er aufleben lassen und teils an alte Videospiel-Soundtracks erinnern. Sehr, sehr sexy. Auf „Broken“ werden dann nochmal so richtig die 80s-Synthies und der Post-Punk-Bass gezückt, und zwischen gebrochenen Herzen und dem Gefühl der Abwesenheit des Geliebten zeichnet auch dieser Song ein sehr gelungenes Portrait der Tiefe und Bedeutung von Emotionen, besonders ihrer Schatten- seiten.

Ihrer Muttersprache bedienen sich DaGeist auf Track 9. „Ciel De Cendres“ hat ein schönes Instrumental und besonders die großartige Phonetik der französischen Sprache macht diesen Song sehr angenehm. Der Refrain insbesondere hat etwas sehr Verzauberndes, eine einen Sog auslösende Magie, durch ein in den Vocals liegendes, ausgedrücktes Fernweh, das selbst jene, die den Text nicht verstehen, nachvollziehen werden. „Curse“ hingegen wird wieder stampfender und elektronischer, hier dominieren klar die Synthies, und die geschichteten Vocals über ein Mädchen, das dem Protagonisten den Kopf verdreht, bedienen einerseits bekannte lyrische Motive, unterstützen aber noch einmal die dem Thema innewohnende Dunkelheit.

Wie viele Songs über Vampire habt ihr allein in den letzten drei, vier Jahren gehört? Und wie viele davon waren von Blutengel? Jedenfalls stellt sich immer eine gewisse Erwartungs- haltung ein, wenn wir sehen, dass ein Song namens „Vampire“ auf einer Album-Tracklist auftaucht. Wenn sich DaGeist jedoch dem Thema annehmen, weiß man, dass es auf diesem Album nicht um übernatürliche Wesen geht, sondern um emotionale Vampire, die die Hoffnung aus Liebenden saugen, sodass ein Loch entsteht, nach dessen erneuter Füllung der Protagonist sich sehnt. Nach Glück strebende Gitarren, flehende Synthies, sehnender Gesang, es klingt nach Ruhelosigkeit und Einsamkeit, danach, ausgesaugt und emotional ausgelaugt zu sein.

Geschlossen wird die Behandlung dieses doch sehr umfangreichen und zu vielerlei Gesprächen einladenden Themenkomplexes Sexualität mit dem fast Ambient-artigen „Roberto“, in dessen Intro wir allerlei hören, was man auf dem Computer eines Sound Designers erwartet, der gerade für die Untermalung eines Horrorfilms sorgen soll. Knackende Geräusche, basslastige Synthies, rumpelnd, schnarrend, ein auf Französisch singendes Kind, einem Echolot gleichende Geräusche. Nach zwei Minuten setzt eine grundsolide, bedrohliche EBM-Melodie ein, gerade durch die Subtilität und Langsamkeit besonders effizient legt sich das Geräuschgebilde um das Gehirn des Hörers. Allein durch den dreieinhalb Minuten langen Instrumentalteil erzählt dieses Lied eine kleine Geschichte in sich. Dann hören wir Abschließendes über das Thema emotionale und körperliche Zweisamkeit: „I cry with your eyes“, „Now you sing with my voice“ spricht von dieser unmittelbaren Verwobenheit, einfache Worte zeichnen große Bilder und eine tolle Atmos- phäre. In der letzten Minute im Speziellen hebt sich der Song zu einem großen Closer an, der einen tollen Schlussstrich unter dieses Album über menschliche Beziehungen und Konflikte zieht.

Fazit: Sexualität – weder beginnt noch endet sie beim, wie es in der Bibel genannt wird, fleischlichen Beischlaf. Mit „Sexy“ liefern DaGeist ein tiefgreifendes, einblickreiches Album in diverse Facetten der Liebe, irgendwo im Schatten zwischen Fluch und Segen, zwischen Selbstzweifeln und dem Wunsch nach Anerkennung. Enorm atmosphärisch, melancholisch und einnehmend wird hier kein Loblied auf den Sex gesungen, sondern ein besonderes Augenmerk auf die inkludierte Dunkelheit und persönliche Unsicherheit, Ungleichheit emotionaler Verhältnisse und der bis ins Negative ausartende Hingabe zum anderen Partner gezeichnet. In der Tat sehr sexy! Ausnahmslos alle Songs haben eine eigene Stärke und eine eigene Kraft, besonders freut man sich aber über „Ciel De Cendres“ und die schlichte Schönheit dieser Sprache, die selbst den Rezensenten, der jahrelang vergeblich versuchte, sie selbst zu erlernen, in ihren Bann zu ziehen weiß.

Tracklist:

01 Virgin
02 Just Like You
03 So Cold So Dark So New
04 Truth
05 I Am Alone
06 Don’t Close Your Eyes
07 Kiss Or Kill
08 Broken
09 Ciel De Cendres
10 Curse feat. Kelly
11 Vampire
12 Roberto

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VÖ: 15.06.2019
Genre: Electro New-Wave
Label: Danse Macabre (Alive)

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