Welle: Erdball – Engelstrompeten & Teufelsposaunen (CD-Kritik)

Welle: ErdballWenn ich an Welle: Erdball denke, denke ich vor allem an eingängige Melodien, aufbereitet im Minimal Electro-Stil, zusammengeschustert auf dem C=64, Nintendo-Konsolen und allem, was sonst noch flöpelt, knarzt und piept. Orchestermusik hingegen ist nicht meine erste Assoziation. Und doch – auf „Engelstrompeten & Teufelsposaunen“ gibt es genau das zu hören: Honey und Kollegen präsentieren die erste Orchestersendung von Welle: Erdball. In meinem Interview mit Honey anlässlich dieser Scheibe sagte der Frontmann und Chefredakteur: „Wenn man sich den Aufkleber „Minimal Musik“ gibt und teilweise mit drei piepsigen C64-Stimmen komplette Lieder komponiert, wird man, bewußt oder unbewußt, von der Technik in den Hintern getreten, die einem sagt: ‚Hey, Du hast nur noch eine Stimme frei! Willst Du wirklich diese poplige Klangsequenz nutzen, die mir jetzt schon auf den Sack geht?! Oder willst Du Dich jetzt endlich mal auf das Wesentliche der Musik konzentrieren? Auf die MELODIE!‘“ – und das ist das große Glück dieser Scheibe. Wo die Musik einst zur Reduktion und deshalb zur Innovation gezwungen wurde, gelingt es ihr nun, groß und opulent zu glänzen.

So bekommt „Funkbereit“ einen träumerischen Anstrich, während „VW-Käfer“ fast schon Disneyfilm-Format erhält, voller Reiselust, Fernweh und Masse. Wenn diese kleinen elektri- schen Klänge nun aus Streichern und Bläsern zu hören ist, wird einem die Größe im Minimalen erst bewusst. Herrlich dramatisch und groß gelingt auch „Mumien im Auto- kino“, und als Hörer freut man sich einfach über diese Energie, diese Epik, gleichzeitig bedauert man es ein bisschen, das Ganze nicht live hören zu können – das Gothic Meets Klassik, durch das diese Platte erst möglich wurde, ist dieses Jahr, wie so vieles, abgesagt worden.

Einige der großen Welle: Erdball-Hits dürfen natürlich auf so einer Zusammenstellung nicht fehlen. Besonders der „Starfighter F-104K“ ist selbstverständlich ganz vorne mit dabei, wenn man die Frage in den Raum stellt, welche Lieder hier hingehören. Die Geschichte des Piloten Joachim von Hassel, der vor nunmehr 50 Jahren bei einem Absturz der titelgebenden Maschine ums Leben kam, tritt hier drängend und bewegend wie vielleicht nie zuvor auf die Bretter. „Arbeit adelt“ marschiert und tänzelt mit klassischer Begleitung nur so dahin, getrieben durch Violinen und Pauken. Die eingängige Leadmelodie erfährt eine Veredelung durch ihre neue Instrumentierung, und wieder denkt man sich: Verdammt, diese Musik ist eigentlich von Grund auf ziemlich genial gemacht. Das ist wirklich das Schönste an „Engels- trompeten & Teufelsposaunen“: Melodien, die einst aus der Not heraus entstanden sind, dass die Songs durch limitierte Spuren eher klein gedacht werden mussten, und auf die demnach ein gesonderter Wert gelegt wurde, werden hier mehr denn je zum Dreh- und Angelpunkt und entfesseln sich erst so richtig, wenn sie endlich mal ganz riesig sein dürfen.

Höhepunkt und Finale dieses epochalen Abrisses der Welle: Erdball-Sendehistorie ist „Die Computer verlassen diese Welt“. Schön, schaurig, stark – dieser breite Klangteppich, den das Orchester hier bereitstellt, malt ganz große Welten voller Apokalypse und Harmonie. Völlig zurecht hört man nach dem finalen „Over and Out“ Applaus und frenetischen Jubel.

Fazit: Gänsehaut ist nicht weit, wenn ein Orchester spielt. Schon das Anschwellen beim gemeinsamen finalen Testen des Gesamtklangs der einzelnen Musiker sendet mir persönlich Schauer über den Rücken. Mich mit einem Orchesteralbum zu begeistern, ist erstmal nicht schwer. Noch mehr beeindruckt mich hier aber die Detailverliebtheit, die in der Musik von Welle: Erdball steckt. Die ist bei weitem nicht neu – sie ist, was Fans seit Jahrzehnten von dieser Gruppe bei der Stange hält. Doch auf „Engelstrompeten & Teufelsposaunen“ wird gerade diese Detailverliebtheit durch die Aufhebung der technischen Einschränkung einmal mehr zum Zentrum, und wahrlich, es entsteht eine große Platte. Manchem Skeptiker dürfte dank dieser Platte bewusst werden, wie viel doch eigentlich bereits in diesen Songs steckte. Garniert mit einer fantastischen Songauswahl fehlt nicht mehr viel, um als Rezensent gleich dem Publikum am Ende des letzten Tracks mitzujubeln. Welle: Erdball begeistern mit einer Grenzüberschreitung, die beim bloßen Gedanken abwegig wird und sich innerhalb der ersten Augenblicke des Hörens als fantastisch erweist. Ganz großes Ohrenkino!

Tracklist:

01 Funkbereit
02 VW-Käfer
03 Mumien im Autokino
04 Deine Augen
05 Nur in meinem Traum
06 Gib mir mein Gefühl zurück
07 Starfighter F-104K
08 1000 Engel
09 Ich bin nicht von dieser Welt
10 Das muss Liebe sein
11 Arbeit adelt
12 Die Computer verlassen diese Welt

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VÖ: 20.11.2020
Genre: Minimal Electro/Orchestermusik
Label: Oblivion

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