TORUL – Hikikomori (CD-Kritik)

Nach ihrem erfolgreichen “Reset” Album (2016), melden sich TORUL mit “Hikikomori” eindrucksvoll zurück. Zwei Jahre sind vergangen, in denen die Band nicht untätig war. Ganze vier (!) Vorab Singles mit “Explain”, “You Won”, “Ausverkauft” und dem neusten Sprössling “Te Sooner The Better”, mit jeweils dazugehörigem Video, durften “Hikikomori” bereits ankündigen. Der eingängige, ausgefeilte Synthi-/Electropop von Torul ist noch tiefer, melodiöser und “professioneller” geworden. Ein 13 Song Album das qualitativ wie quantitaiv seinesgleichen sucht. Auch beim Artwork geht man neue, künstlerische Wege. “Hikikomori” ist haupstächlich ein Synthpop Album, das aber nicht mit organischen Instrumenten geizt, und Einflüsse aus dem Synthwave und Electro vorzuweisen hat. Düster und intensiv, gleichermassen melodiös und angereichert mit der unverkennbaren Stimme von Sänger Maj bringen eindringliches “Licht” ins Dunkel. (Quelle: Pressetext)

Der aus dem Japanischen entnommene Albumtitel steht für die Isolation von der Gesell- schaft, für das Abschotten von der Welt um sich herum. Diese Thematik schlägt sich auch im Opener der Platte wieder, einer der vier Vorabsingles, „You Won“. Hier und da trägt dieser Song fast den Geist einer aus diesem Jahrzehnt stammenden Depeche Mode-Nummer. Synthesizer und leichte, organische Rock-Klänge verbinden sich zu einem mit leichter Attitüde gespickten, höchst angenehmen Opening Song. Auch „Explain“ beginnt mit einer Bassline, die Nostalgie zu erwecken weiß, auch die echoenden Clap-Sounds aus der Dose tragen wundervolle Achtziger-Vibes in sich. Und ja, irgendwie erinnert der Gesang ganz entfernt an den eines Dave Gahan. Hier und da fühlt man sich ein wenig an diese legendäre Stimme erinnert, und auch musikalisch wandelt „Explain“ in der Welt der andächtigen Popmusik, die es nicht eilig hat, sondern gerade durch Melancholie ihre Schönheit gewinnt.

Wenn auf „Ausverkauft“ plötzlich eine synthetische Sirene einsetzt und schließlich die altbekannten, mit leichtem Hall versetzten Keyboardanschläge das Soundgemisch ergänzen, könnte man fast denken, man höre hier eine verschollene Idee von Steve Naghavi. Der Text wirkt dafür dann aber hier und da wirklich händeringend um den Reim kämpfend: „Stay inside, make it right“ ist lyrisch definitiv kein Meisterwerk. „So Long, Goodbye“ hat dann so ein wenig etwas von einer braveren, fast etwas faden Industrial-Nummer mit Future-Pop-Zügen. Prinzipiell sind solche Songs ja überhaupt nichts Schlechtes, aber der vierte Song des Albums klingt mehr wie ein Intro, das mehr auf das Folgende aufmerksam macht, als für sich allein zu stehen. Eine hohe Eigenständigkeit fehlt auch diesem Song: Es ist kein schlechtes Lied, aber es lässt einen Funken vermissen, einen mitreißenden kreativen Einfall. Zumal auch dieser Song, wie die meisten der 13 Nummern der Scheibe, mit einem Fade-Out endet. Oldschool hin oder her, diese innovationsfreie, ja fast schon geschummelte Art, um einen Song zu Ende zu bringen, hat schon damals ein wenig genervt.

Jetzt muss wieder etwas her, das ein bisschen schöner klingt, je früher, desto besser. Passenderweise heißt der nächste Song „The Sooner, The Better“ und liefert vor allem schöne Atmosphäre, durch Verzerrung angereicherte Vielseitigkeit in den Vocals und Vibes zwischen The Cure, dem Frühwerk von Bands wie Blutengel oder gar dem Sound der Berliner Indie-Band Fewjar, in deren Musik der geneigte Fan dieser Richtung übrigens mal kurz reinhören sollte. Irgendwo zwischen einem gewissen Retro-Understatement und einer Tiefe diesseits der Jahrtausendwende ist dieser Song zwar auch keine Nummer, die extatische Zustände hervorrufen kann, aber das will sie auch gar nicht, sondern überzeugt durch unheimliche Grundstimmung. Schon mal recht gut! Und nächstes Mal dann bitte ohne einfaches Ausblenden am Ende!

Für einen kurzen Moment summt man im Kopf die Melodie von „Only“ von Nine Inch Nails mit, wenn Track 6, „Hikikomori“, beginnt. Und ja, das Intro ist ein wenig ähnlich, dann jedoch liefern TORUL uns schöne Wah-Wah-Wah-Synthies à la Kraftwerk auf dem Bauhaus-Bass. Der Beat lässt vielleicht die eine oder andere Schulter mitwippen, eventuell sogar einen Fuß, aber auch hier wird eher mit geschlossenen Augen hin- und hergeglitten als gesprungen, gefeiert und geschwitzt. Auf „Spanje“ fühlt man sich dann fast ein bisschen an Covenant und Mesh erinnert, zwar klingt die sich durch den Song ziehende Synthline schon ein wenig eingestaubt und abgenutzt, und auch die Perkussion ist keine Neuerfindung des Drumcomputers, aber das schöne Vocal Layering im Refrain weiß ein wenig Weite und Tiefe ins Arrangement einzufädeln. Es ist in keiner Form als Beleidigung zu sehen, wenn ich sage: Dieser Song klingt ein wenig wie die musikalische Untermalung zu einer Kunstausstellung, passend zum wirklich wunderschön gestalteten Cover des Albums.

„Stay This Way“ beginnt mit dezent meditativ klingenden Drums, bevor dann ein tatsächlich sehr angenehmer Groove einsetzt, das Instrumental quietscht zwischenzeitlich ein wenig, und im Gesamten bereitet dieser Song auf jeden Fall ein gewisses Vergnügen. Musikalisch denkt man hin und wieder an die großen Hits von Anne Clark, der Gesang ist teilweise erstaunlich tief und wirkt durch starke Anreicherung mit Echos nahezu prophetisch. Am Anfang von „In Our World“ furzen und knarzen die Synthies wundervoll daher, gesanglich wird hier definitiv Robert Smith gehuldigt. Die Referenzen an ihn und seine Band sind in diesem Song unverkennbar, und weil das Vorbild eben solch geniale Musik gemacht hat, hat auch diese dem etwas nacheifernde Nummer einen nicht zu vernachlässigenden Charme.

Auch „Bad Boy Dreaming“ ist eine einzige Achtziger-Reminiszenz, während „Good To See You Here“ ein eher positiv gestimmter Song mit gutem Beat, sägenden Propeller-Synthies ist. Die Inklusion der „live from rehearsal“-Aufnahme von „You Won“ an vorletzter Stelle der Tracklist erschließt sich mir jedoch überhaupt nicht. Ein so in die Titelliste des Albums reingeworfener Bonus-Track behindert eher den Albumfluss und wirkt wie ein Versuch der Streckung der Platte. Im Kern des Albums passt dieser Song nicht so rein, man hätte ihn ruhig hintendran hängen können, aber so in die Standard-Titelfolge gepresst verwirrt er eher, als zu bereichern. Der Closer hingegen, das fast achtminütige „Thredony“, bestätigt meine vorherige Theorie der musikalischen Untermalung. Der „Song“ besteht aus- schließlich aus Ambient-Sounds, und ist mehr eine Klanglandschaft als alles andere. Genau wie den vorherigen Titel hätte es diese Anspielstation nicht wirklich gebraucht. Klar, dieses Outro ist angenehm, wie ein Stück ASMR, und natürlich atmosphärisch, aber es trägt nichts zur Qualität des Albums bei.

Fazit: Dieses Album wirkt mehr wie ein Soundtrack für einen Film oder eine Ausstellung. Als solcher funktioniert die Musik wunderbar, die Atmosphäre ist in jedem Fall gegeben, elegant und zu Gedankenspielen einladend kann man sich die Musik gut als Untermalung für ein gedankliches Bild oder ein anderweitig visuelles Element (wie zum Beispiel dem wirklich tollen Albumartwork) zu Gemüte führen. Als alleinstehende Songs fehlt ihnen jedoch das solide Grundgerüst, die Eigenständigkeit, die Innovation, die Unverwechsel- barkeit. Darüber hinaus sind die letzten beiden Anspielstationen wohl am ehesten Füllermaterial. Eine in sich gut gemachte Retrospektive, aber doch eher alter Wein in neuen Schläuchen. Natürlich, es ist sehr, sehr guter Wein, aber die Trauben wurden bereits von anderen geerntet. „Hikikomori“ klingt sehr schön, es stört nicht, es gibt dem Hörer ein gutes Gefühl, doch der musikalische Mehrwert liegt mehr in der übertragenen Atmosphäre und der Nostalgie als in der Genialität der Kompositionen.

Tracklist:

01 You Won
02 Explain
03 Ausverkauft
04 So Long, Goodbye
05 The Sooner The Better
06 Hikikomori
07 Spanje
08 Stay This Way
09 In Our World
10 Bad Boy Dreaming
11 Good To See You Home
12 You Won (Live From Rehearsal)
13 Threnody

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VÖ: 21.06.2019
Genre: Synth Pop / Indie / Electro
Label: Infacted Recordings – Minuswelt (Soulfood)

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