Placebo – Never Let Me Go (CD-Kritik)

PlaceboPlacebo melden sich mit einem gewaltigen Paukenschlag zurück. “Never Let Me Go” heißt der achte Langspieler, der so ganz anders klingt, als man es erwartet. Blickt man hinter die Kulissen und liest Interviews von Brian Molko und Stefan Olsdal wird schnell klar, warum ihr neues Werk zwar nach Placebo klingt, aber ganz klar von bekannten Standards abweicht. Im Pressetext heißt es unter anderem: “Aus der Pandemie heraus blicken sie auf eine Landschaft der Intoleranz, der Spaltung, der tech- nischen Übersättigung und der drohenden Öko-Katastrophe. Die 2021-er Ausgabe von Placebo ist das diametrale Gegenteil selbstgefälliger Karrieresattheit, denn anstatt sich zurückzulehnen und sich auf ihrem früheren Ruhm auszuruhen, setzen sie sich sowohl mit globalen Problemen als auch mit ihren eigenen kreativen Anforderungen ausein- ander.”

Gleich zu Beginn mit dem ersten Ton der ersten Single „Forever Chemicals“ weiß man nicht so richtig, woran man ist. Verzerrte Klänge, erst unangenehm im Ohr, sich dann aber langsam zu einer komplexen Melodie zusammensetzend, entpuppen sich im Nachhinein als zur Unkenntlichkeit verzerrter Harfensound. Tatsächlich haben Placebo mit “Never Let Me Go” mehrere Experimente gewagt. Nicht nur rein musikalisch. So entstand zum Beispiel, dass Albumcover und die Tracklist, bevor ein einziger Song überhaupt geschrieben war. Was besonders auffällt, ist die überdurchschnittliche Dichte an Synthiesounds, die das Album fast schon dominieren. Brian Molko sagt dazu: “Gegen Ende des Jahres 2019 hatte ich mir selbst die Aufgabe gestellt, in jedem Song der Platte einen Synthesizer einzusetzen. Ich hatte Bock darauf, dann hatte Steph Bock darauf und schließlich hatte auch unser Produzent Adam Noble Bock darauf. Jetzt sind auf jedem Song vier oder fünf Synthies zu hören und es ist fast so, als ob die verzerrten Gitarren und die Vintage-Synthesizer gleichwichtig sind und es gibt dieses Drängen und Ziehen zwischen ihnen. Betrachtet man die Melodie, so unter- stützen die Gitarren oft nur die Hauptmelodie, die vom Synthesizer gespielt wird.” All diese Experimente und neuen Heran- gehensweisen sorgen für einen ganz besonderen Sound, der sich aber trotz aller Neuerungen ganz klar Placebo zuordnen lässt. Ihren ganz eigenen Sound können die Briten dann doch nicht verleugnen – und das ist auch gut so. Die bekannte Placebo-Melancholie trägt durch das Album und bricht nur selten aus bekannten Stim- mungsmustern aus. Der minimalistische Aufbau der meisten Songs wird aufgebrochen durch ungewöhnlich arrangierte Lyrics. Beispielsweise werden in „Surrounded by Spies“ und „Hugz“ die gleiche Textzeile immer und immer wieder wiederholt („a hug is just another way of hiding your face“), was fast schon paranormale Beklemmungsgefühle auslöst. Placebo zeigen hier auf eindrucksvolle Art und Weise, welche Macht Musik hat und zu welchen Stimmungs- und Gefühlsschwankungen sie führen kann. Produziert ist der Langspieler, wie von Placebo nicht anders zu erwarten, natürlich erstklassig. Die Abmischungen sind perfekt und jeder Ton sitzt auf den Punkt genau. Was anderes hätte man von solchen Ikonen auch nicht erwartet.

Fazit: Das Album ist vom ersten bis zum letzten Ton perfekt abgemischt und grundlegend solide produziert, allerdings fehlt das Tüpfelchen auf dem I, der die Besonderheiten ausmacht. Ihre eigene Vorgabe, ein Album voller Kritik gegen Übersättigung und die akute Blindheit der vorherrschenden Gesellschaft zu produzieren, ist ihnen aber auf jeden Fall gelungen. Die Texte legen die Finger in die Wunde und Themen wie fehlende Privatsphäre, ständige Überwachung und die Zerstörung unseres Planeten gehen nicht spurlos am Hörer vorbei. Wenn, dass das Ziel war, dann wurde dies auf jeden Fall erreicht. Was sich aber definitiv sagen lässt, dass “Never Let Me Go” auf jeden Fall absolut hörenswert ist. Wenn man aufmerksam zuhört, bemerkt man jedes Mal das eine oder andere Detail mehr, welches die Songs jeden für sich ganz besonders auszeichnet.

Tracklist:

01. Forever Chemicals
02. Beautiful James
03. Hugz
04. Happy Birthday In The Sky
05. The Prodigal
06. Surrounded By Spies
07. Try Better Next Time
08. Sad White Reggae
09. Twin Demons
10. Chemtrails
11. This Is What You Wanted
12. Went Missing
13. Fix Yourself

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Release: 25.03.2022
Genre: Rock
Label: So Recordings (Rough Trade)

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