Melotron – Für Alle (CD-Kritik)

„Für Alle“ heißt das neue Album der Electro-Gruppe Melotron, das am 29. Juni 2018 bei Out Of Line erschien. Die 48 Minuten lange Platte ist das erste Album mit komplett neuem Material seit dem 2007er Album „Propaganda“ und die erste Veröffentlichung seit der „Werkschau“ aus dem Jahr 2014.

Auf den 11 neuen Tracks thematisieren Melotron – passend zum Albumtitel – die Menschheit in ihrer Gesamtheit. Die Songs zeigen ein Bild des Zeitgeschehens. So klingt der Opener „Will- kommen“ wie ein Raumschiff, das in den Orbit der Erde eindringt. „Zwischen Steinzeit und Moderne gibt es immer was zu tun – Willkommen auf der Erde“ – „Im Kosmos der Gefühle, im blauen Club der Endlichkeit“ – Mit diesen Worten werden wir in die Stimmung des Albums eingeführt. Die Elektro-Beats sind langsam, maschinell, futuristisch. Der 6-Minuten-Song lässt uns in die irdischen Gefilde vorschreiten, und irgendwie wohnt dem fast etwas Postapokalyptisches inne. Ich bin gespannt! Track Nummer 2, „Alles auf Anfang“, fasst ebenfalls den Status Quo einer sich auseinanderlebenden Menschheit zusammen. Gleichzeitig kann man in dem Song auch die Geschichte einer zu Ende gehenden Liebe erkennen. Dabei klingt der Gesang, der mit Astrologie-Anspielungen gespickte Text, die kühle, düstere Melodie so, als sei er aus der Sicht eines außerirdischen Wesens entstanden, das gerade erst anfängt, zu lernen, was Gefühle sind. Größtenteils klingt das echt gut, die Zeile „Vielleicht sind wir nicht zu retten, weil wir nicht zu retten sind“ wirkt aber doch etwas holprig. Schöne, melancholische, sperrige und in Teilen fast schon sterile Nummer. Das Lied klingt so distanziert, poliert und verdichtet, dass es sich gut in einem Sci-Fi-Film machen würde. Mit „Menschen“ geht die BPM etwas hoch, die Kälte bleibt, und textlich wird es hier tatsächlich ziemlich spannend. Die Lyrik ist so derart verdichtet, dass man den Text womöglich ausführlich analysieren könnte. Aber die Zeile „Menschen sind dämlich, vergöttern den Clown“ ist ziemlich deutlich. Im Großen und Ganzen behandelt der Song die Fehler des Menschen, und das Tier in ihm. Die Melodie ist eingängig, einige Textzeilen wirklich cool, und auch dieser Song ist angespannt und distanziert. Hier beginnt die Platte, sich wie ein Konzeptalbum anzufühlen, das uns in eine Dystopie à la „1984“ entführt, die mit unserer jetzigen Welt vielleicht doch mehr gemein hat, als uns lieb ist. „Junkie“ hat ebenfalls einen lässigen Beat und beschreibt das Gefühl, von seinen Emotionen übermannt zu werden. Hier fällt mir wieder die Verbindung zu dem auf, was ich über „Alles auf Anfang“ gesagt habe. Instrumental bleibt es auf hohem, atmosphärischem Niveau. Außerdem ist der Refrain irgendwie catchy. Es klingt fast nach einer Mischung aus Future Pop und Blues. „Wo ist dein Problem“ hingegen ist ein Song, der an klaren Worten nicht spart. Dieser Song ist gespickt mit Pop- und Dance-Sounds und kann mit modernen Club-Hits total mithalten. Der Text hingegen ist ziemlich cheeky und passt gut zu der fast schon verspottend fröhlichen Melodie, denn hier werden selbstgefällige Stimmungskiller kritisiert. In der zweiten Strophe lassen sich hierbei fast schon wieder sozialkritische Elemente entdecken: „Und geht’s mal einem richtig schlecht, empfindest du das als gerecht.“ In der Zeit der Wutbürger ist dieser Track eine sehr erfreuliche Ohrfeige, und die Frage „Wo ist dein Problem“ ist absolut berechtigt. Geile Nummer mit riesigem Hitpotential! Weiter geht es mit „Hätte, wenn und aber“. Der Song geht fast schon als Techno-Stück durch, knalliger Beat, und mit Hauptfokus auf die Melodie. Der Text, bestehend aus acht Zeilen, die sich dreimal wiederholen, ist zwar gut kondensiert, aber die Zeile „Alles nur Gequatsche, erzähl’s doch deiner Katze“ greift das Gesamtbild leider ein bisschen an. Ansonsten ist der Song aber ein kurzes, EBM-artiges Intermezzo, auf das das Instrumentalstück „Der 2. Planet“ folgt. Das Instrumental erinnert hierbei an das Intro-Stück und klingt wie eine Überleitung in den zweiten Teil des Albums: Nachdem wir nun die Erde erkundet haben, geht es zurück in den Orbit, auf dem Weg zum zweiten Planeten. An dieser Stelle hätte man wieder einen Punkt das Albumkonzept der Dystopie: So, wie wir jetzt auf der Erde leben, wird es früher oder später für uns nötig sein, auf einen zweiten Planeten überzusiedeln, da uns hier die Rohstoffe nicht ausreichen. Offenbar kann selbst ein schöner, orchestraler, sphärischer Instrumentalsong wie dieser eine Message mit sich tragen. „Sleep Well“ klingt nach Techno-Wave. Auch hier haben wir einen ziemlich coolen Refrain, während dieser coole Beat, der aber schon wieder so kalt und gefühlsreduziert klingt, doch irgendwie zum Mitnicken einlädt. Der nächste Song, „Eigentlich“, ist dann wiederum irgendwie anders. Was mit einem Akustik-Piano beginnt, klingt ziemlich schnell nach NDW. Wer auch immer hier singt, Andy ist es nicht. Der Text wankt zwischen zerstörerischen Beziehungen und Selbstzweifeln und weist dabei auch sehr viele bedrückende und tolle Zeilen auf, die hin und wieder sogar fast philosophisch sind. Wenn dann aber die Flöte aus dem Keyboard einsetzt, wird es irgendwie etwas seltsam. Im Vergleich zu den anderen Songs etwas weniger überzeugend. Weiter geht es – Gott sei Dank – wieder mit einem sehr guten Track. Hier wird das Instrumental nämlich auch mal warm, emotional, und richtig eingängig und tanzbar. Textlich wird auf „Und dafür“ ein erstaunlich jugendliches Weltbild gezeichnet, mit dem ich mich tatsächlich ein Stückweit identifizieren kann. Es geht um Zeit, die zwar die Grundvoraussetzung für alles ist, und uns doch nur begrenzt erscheint, um das Leben, um Freundschaften. Ein wirklich, wirklich schöner, philosophischer, und in einigen Teilen seltsam romantischer Song. Leider endet er ziemlich unbefriedigend, gefühlt mittendrin, mit einem Fade-Out. Ich würde hiervon sehr gern eine Extended Version hören! Als Rausschmeißer dient das warm-knarzige, träumerische „Dein Glück“, das uns nach der Reise durch die schönen und weniger angenehmen Seiten der Menschheit wieder ins All schweben lässt, von wo wir das Gehörte erneut von oben betrachten und zurückblicken können. Das Instrumental ist wunderschön, der Text wieder sehr reduziert und verdichtet, und gerade durch seine Knappheit irgendwie begeisternd. Ein absolut liebenswerter Outro-Track, der alles liefert, was man sich von einem Outro wünschen kann. Er schließt den Kreis zum ersten Song und setzt dieser Platte ein absolut würdiges Ende. „Die Welt ist wunderbar, ein bisschen krank und traurig schön, und noch immer für uns da.“

Fazit: Wer nach dem Hören dieser Platte noch sagt, M.I.N.E wären ein sicherer Anwärter für das Synthpop-Album des Jahres, verschließt seine Augen (oder Ohren) vor den lupenreinen, atmosphärischen Melodien, dem tollen Songwriting und dem stimmungs- vollen, träumerischen Gesamtwerk, das uns Melotron mit diesem Album bieten. „Für Alle“ bietet fast alles, was man sich von einer Platte wie dieser erwarten kann. Es ist natürlich kein perfektes Album, einige Textstellen wirken doch etwas platt, aber das Album hat definitiv seine Hits, seine Message, und vor allem eine große Schönheit, ein gutes Gefühl für Melodie und eine bittersüße Melancholie. Schade, dass die meisten Songs mit etwas unbefriedigenden, ziemlich schnellen Fade-Outs gefühlt mitten im Takt enden, die das Hörgefühl gelegentlich leicht ins Stolpern bringen. Wenn man darüber aber hinwegsieht, bietet dieses Album unglaublich vieles, was man lieben kann. Willkommen zurück, Melotron… Willkommen auf der Erde. Meine Anhörtipps: „Willkommen“, „Wo ist dein Problem“ und „Und dafür“.

Tracklist:

01 Willkommen
02 Alles auf Anfang
03 Menschen
04 Junkie
05 Wo ist dein Problem
06 Hätte, wenn und aber
07 Der 2. Planet
08 Sleep Well
09 Eigentlich
10 Und dafür
11 Dein Glück

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VÖ: 29. Juni 2018
Genre: Electro
Label: Out Of Line

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