Joachim Witt – Der Fels in der Brandung (CD-Kritik)

Joachim WittSeit „Silberblick“ sind 43 Jahre vergangen, und Joachim Witt ist seitdem kontinuierlich fleißig gewesen. Sein nunmehr zwanzigstes Studioalbum (Duesenberg nicht eingerechnet) liegt nun vor, es heißt „Der Fels in der Brandung“, erscheint beim Major-Label Warner Music und kokettiert nicht nur offen mit dem Schlager, sondern zieht ihn erfreulich konsequent durch, ohne sich anzu- biedern.

Deutlich wird dies nicht nur auf der romantisch-reflektierenden Single „Schwör mir“, die Witt kürzlich im ZDF Fernsehgarten präsentierte, sondern vor allem in der Zusammenhaltshymne „In unserer Zeit“, auf der er sich von der Schlager-Ikone Marianne Rosenberg begleiten lässt, die mit „Er gehört zu mir“ (bemerkenswerterweise nicht zuletzt in der Gay-Community) zur Legende wurde. Beide Nummern halten sich mit Schmacht und Kitsch in keiner Weise zurück, gerade das Rosenberg-Duett trieft vor Streichern und düdeligen Melodien: „Dann heißt es nicht mehr: Jeder für sich, und dann sind wir du und ich, füreinander da.“

Bei der Genrebezeichnung „Schlager“ werden sich bei einigen Puristen die Fußnägel hochrollen und sie werden die Hände über ihren Köpfen zusammenschlagen. Aber Witts Schlageroffenheit ist weder neu, noch ein Makel. Poppige Strukturen, Mut zum Kitsch und ein Songwriting, das bei aller Sozialkritik und Punkattitüde nie Tanzbarkeit und Eingängigkeit vernachlässigte, sind Teil des Grundes, warum diese Musik funktioniert. Was den Schlager, den Witt macht, von dem anderer ehemaliger Szenekünstler unterscheidet, ist, dass im Gegensatz zum Spätwerk einer Band wie Unheilig die Musik von Joachim Witt nicht der Belanglosigkeit anheimfällt. Bleiben wir bei „In unserer Zeit“, in dem die beiden Zeilen singen wie „Wir feiern die Idee“ – so klingen keine 0815-Schlagertexte.

Inhaltlich nämlich ist Witt spitz wie eh und je. Das macht bereits der Opener „Signale“ klar, der mit Trompetensample und Internationale-Zitaten Ressourcenverschwendung, Turbo-Kapitalismus und menschliche Hybris kritisiert. Auf dem rockiger veranlagten „Revolution“ verlautbart Witt: „Faire Welt bleibt ein stumpfes Phantom.“ Der ebenfalls eher rockige Song „Propaganda“ verbindet die politische Terminologie tanzbar und durch Kinderchöre angereichert mit dem Zwischenmenschlichen, der Liebe und ihrem Verrat: „Dass ich allen hier erzähl, wie endlos du mir fehlst, das ist alles nur – Propaganda.“

Sowieso ist und bleibt die Liebe und, vor allem, die Sehnsucht ein Thema im Werk des Altmeisters. Sei es „Hörst du mich“, das mit Streichern und weiblichen Backing-Vocals auftrumpft und weiter im Pop-Fahrwasser treibt. Gleiches gilt für das fernwehschwangere „Sebelele“, das die bereits auf den „Rübezahl“-Alben spürbare Vorliebe Witts für Reisehymnen mit Urvölkergesängen aufgreift – diesmal ist die südafrikanische Sängerin Velile Mchunu mit von der Partie, die mit „Helele“ im Rahmen der WM 2010 einen großen Hit landete. Ähnliche Elemente finden sich auch auf „Weg ins Licht“, das irgendwo zwischen Kommandolyrik, Appell und Unsinn oszilliert. „Jung“ wiederum ergeht sich in der Reminiszenz an die Jugendlichkeit, das unbefangene Ziehen durch die Straßen, die Arglosigkeit im grenzenlosen Genuss des Lebens, verschleiert durch das Bewusstsein des Alterns.

Dass Joachim Witt sich nie schämte, auch den Kitsch zu offenbaren, bleibt auch auf diesem Album deutlich sichtbar, insbesondere „Bäume“ drückt musikalisch mächtig auf die Tube, lyrisch hingegen wird Witt auf diesem Song ungewöhnlich schnodderig, bemüht teils sogar wieder den Dadaismus der NDW-Zeit: „Verdammt nochmal, kann doch nicht sein: Hat jeder Dreck den Heiligenschein? Doch eins ist wahr, oder auch nicht: Du brauchst den, der mit Bäumen spricht. Frieden hin, Frieden her.“ – dieser Kontrast zeugt von einer Gewitztheit, die auch untrennbar zu dieser Karriere dazugehört. Wer einmal bei einem Konzert von Witt war, weiß, dass gerade der Pathos der Musik von Witt nur dadurch gewinnt, dass er ihn selbst regelmäßig ironisch bricht.

„Träume im Gegenwind“ fasst als letzter Track den Geist des Witt’schen Schaffens nahezu perfekt zusammen: bombastisch und dennoch poppig inszeniert präsentiert er uns die Vision des seit Jahren unermüdlich an die Menschlichkeit und die Klugheit appellierenden Sängers, gegossen in Zeilen wie „Wann singt der große Chor nicht mehr durch Trauerflor?“ – die Nummer reißt durch ihren schönen Aufbau mit und erzählt vom Kampf für das Gute, und von einem Künstler, der sich auch nach unzähligen Dekaden nicht zufriedengibt und so beharrlich den Finger in dieselbe Wunde bohrt, die er seit Jahren bemängelt, und die immer noch nicht verheilt ist. Dabei reflektiert Witt auch über eigene Höhe- und Tiefpunkte, und bietet somit eine exzellente Conclusio, die beweist, dass er noch nicht fertig ist mit seiner Mission. Man kann demnach mit Fug und Recht sagen, dass Joachim Witt der Biologie zum Trotz auch mit Mitte siebzig noch haarscharf, am Zahn der Zeit und über Genregrenzen hinweg musiziert und dabei brilliert. Weitestgehend stimmt das auch, jedoch: Unüberhörbar ist auch, wie viel hier nachjustiert wurde. Der Einsatz von Tonhöhenkorrektur ist auf nahezu jedem Song des Albums eklatant. Er ist auch nicht illegitim – der Anspruch, dass „auf Platte“ jede Note richtig sitzt, ist nobel, und nicht mehr alle Töne sofort treffen und halten zu können ist angesichts der langen Karriere von Witt keine Schmach. Spannend wird es, wie sich die neuen Titel live auf der Bühne anhören werden, wenn das auf dem Album vielgenutzte Autotune die Schwächen nicht mehr kaschieren kann.

Fazit: Mit diesem Album und seiner unverhohlenen Offenheit in Richtung Schlager und Pop wird Joachim Witt einigen um Trueness bemühten Hörern sehr vor den Kopf stoßen – wie schön, dass ihm das so egal ist. Denn „Der Fels in der Brandung“ klingt durchweg modern, konzis, und relevant. Die wichtigsten Eckpunkte des eigenen Schaffens nimmt Witt hierbei lässig mit: das Augenzwinkern, die Kritik an einer sich selbst bekriegenden Gesellschaft, und natürlich die Liebe als Lösung. Klingt auf dem Papier banal, doch in der Kombination mit diesen eingängigen Titeln zündet es voll und ganz – es hat schließlich seinen Grund, dass Brecht und Weill für die Drei- groschenoper seinerzeit ebenfalls Popsongs schrieben.

Mit Warner als Major im Rücken, Auftritten im Fernsehgarten oder bei Schlagerfesten und dem Mut zur Elektronik schafft Witt einen Nährboden, um seine Botschaft einem größtmöglichen Publikum darzubieten. Der weißbärtige Schlager-Missionar im Dienste des Guten schafft es, zu überraschen, zu unterhalten, und zu verwirren – und sich trotz allem Spiel mit dem Pop selbst voll und ganz treu zu bleiben. Und ich bin mir sicher: Selbst die Engstirnigen, für die der Sound dieses Albums per sé ein Grund zur Ablehnung ist, müssen irgendwann zugeben, dass Witt Recht hat.

Tracklist:

01 Signale
02 Weg ins Licht
03 Sebelele (feat. Velile Mchunu)
04 Schwör mir
05 In unserer Zeit (feat. Marianne Rosenberg)
06 Revolution
07 Jung
08 Hörst du mich
09 Bäume
10 Propaganda
11 Träume im Gegenwind

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VÖ: 15.09.2023
Genre: Schlager-Rock
Label: Warner Music International

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