Jean-Marc Lederman – 13 Ghost Stories (CD-Kritik)

-Du stirbst. Du darfst einen Tag als Geist auf die Erde zurückkommen. Was würdest du tun?- Es war diese simple Prämisse, die Jean-Marc Lederman (Ghost & Writer, The Weathermen, Fad Gadget) einer ganzen Anzahl von Vokalisten gestellt hat, mit denen er gerne mal zusammenarbeiten wollte. Das Feedback war überwältigend, denn die große Mehrzahl der Sänger und Sängerinnen, denen Lederman schrieb war von dem Konzept von -13 Ghost Stories- genauso inspiriert und fasziniert, wie wir selbst. In Folge arbeiteten die Künstler an Texten, die ihre Antworten auf diese Frage darstellten und die Lederman dann mit der passenden Musik aus seinem musikalischen Universum kombinierte. Die Antworten waren so verschieden, wie die Vokalisten die an -13 Ghost Stories- teilnahmen: Von Elena Alice Fossi (Kirlian Camera, Spectra*paris) über Mark Hockings (MESH), RASC (Rotersand), Darrin Huss (Psyche) oder JP Aston (Jene Loves Jezebel) reichten die Feedbacks der Sänger aus insgesamt zehn verschiedenen Ländern von den USA über UK, Frankreich und Belgien bis hin zu Australien. 13 Songs, gesungen von 13 Ghosts ergibt: 13 Ghost Stories. Die musikalischen Manifestationen sind so unterschiedlich wie der Background der Bandmitglieder: von leichtem Synthpop über düstere, melancholische Elektronische Balladen bis hin zu verstörenden experimentellen Soundscapes mit automatisiert eingesprochenen ‚Geisterbotschaften‘ reichen die Kompositionen auf -13 Ghost Stories-. (Quelle: Pressetext)

Eines der wohl interessantesten Kollaborationsprojekte der szeneinternen Musikelektroniker seit einer Weile – wie jede gute Geistergeschichte beginnt auch „13 Ghost Stories“ am Lagerfeuer. Das gesprochene Intro „By The Fireside (part I)“ richtet sich an die „Industrial music fans“ und erklärt das Projekt: Auf die Frage, was man tun würde, wenn man einen Tag lang als Geist auf die Erde zurückkommen könnte, wollen 13 Musiker, darunter Größen wie Stefan Netschio (Beborn Beton) und Mark Hockings (Mesh) eine Antwort finden. Dazu ist das limitierte Artbook auch noch mit zusätzlichen Grafiken und sogar ein paar Kurzgeschichten ausgestattet. Es verspricht also, ein Fest der hochwertigen, anspruchsvollen, kreativen Synth-Klänge zu werden – na dann, werfen wir uns ins Vergnügen.

„The Dead Still Scream“ ist eine ruhige, vielschichtige, langsame und eindringliche Nummer mit spärlicher, aber halliger Perkussion. Christer Hermodsson singt auf diesem Song, seine Stimme erkundet einige sehr weiche Höhen und nistet sich unter der Haut des Hörers ein. Gleichsam wiegen die warmen Glocken- und Knarzgeräusche und die wunderbare Stimme der großartigen Louise Fraser auf „Maybe“, das Pianos mit träumerischen Geräuschen und mit Echos und choralen Elementen angereicherten Vocals verbindet. Der Song hat fast hypno- tischen, auf jeden Fall aber sehr schönen und lieblichen Charakter. Nach leicht kitschigem Zucker-Pop klingt hierbei schon die heitere Nummer „Brian Wilson Stole My Prom Date“ mit Stefan Netschio am Mikrophon. Das erinnert hier und da an das ganz, ganz frühe Werk des Synthpoppers, angereichert mit einigen Schichten und einer leichten, subtilen Dosis Melan- cholie, die sich eben nicht vermeiden lässt, wenn man nur als Geist wieder auf Erden weilen kann.

Um euch mehr über den Song mit Juliette Bossé von der Gruppe Rive erzählen zu können, reichen meine Französisch-Kenntnisse leider nun doch nicht so ganz, über ein paar größere Fetzen und einige Zeilen geht da mein Textverständnis nicht hinaus. Was ich euch jedoch sagen kann: „Nuages à l’envers“ arbeitet, so wie es klingt, mit Instrumenten wie Xylophonen und Harfen und erweckt dabei den Eindruck einer Art Nymphengesang oder Sirenenlied. Die feenhafte Stimme der Sängerin legt sich wie eine warme Decke um den Hörer.

Der Song „The Tallest Building In Town“ bleibt auf ähnlich ruhigem und tiefsinnigem Niveau, arbeitet gleichzeitig jedoch noch mit einigen Breaks, urplötzlichen Abwechslungen und Tempowechseln im Instrumental. Und meine Güte, was hat Jenna Fearon bitte für eine geile Stimme? Verspielt, verträumt, verdammt gut gelungen. Kommen wir zur nächsten Geisterstunde mit Agi Taralas, bekannt von Our Banshee. Auch das Instrumental von „Nothing Shall Remain“ zeichnet sich durch Verspieltheit, sphärischen Charakter, Vielschichtigkeit und Größe aus, garniert mit tollen Vocals und einem wirklich schönen Text. (Diese sind übrigens alle ziemlich gut gelungen, da hat es sich wirklich gelohnt, den Gastsängern einfach freien Lyriklauf zu lassen!)

Jetzt wird’s sehr spannend: „Upset Karma“ beginnt leise klimpernd mit gehauchten Vocals und baut sich dann zu der wohl bisher tanzbarsten Nummer mit gutem Beat und poppigem Gesang von Elena Alice Fossi. Das Instrumental verliert hierbei nicht an Tiefe, hat durchaus was von Future Pop und lässt sich ganz gut anhören. „I’m The Ghost Of Your Father“ hingegen ist wohl das düsterste Stück auf der Platte. Auf eine leicht gruselige Sound- atmosphäre wird der immer wieder gleiche Text auf verschiedenen Sprachen von verschiedenen Frauen vorgelesen. Durch die stetige Wiederholung, die Überlagerung und den Stereo-Effekt bekommt das kurze, nicht mal zwei Minuten lange Intermezzo fast den Charakter eine Beschwörung. Verantwortlich dafür ist die Acapella Robotic Association. Dabei handelt es sich nicht etwa um eine bekannte Electro-Band, alles, was man über diese Gruppe heraus- zufinden versucht, führt auf die Jean-Marc Lederman Experience zurück.

Yvette Winkler wird auf „The Darkest Secret“ anscheinend zur One-Woman-Gospel-Band; ihre immer wieder aufeinandergestapelten Gesangsspuren tackern sich auf ein weitläufiges, cineastisches, wenn auch nicht aufdringliches Instrumental. Auch das überzeugt voll und ganz. Darauf folgt der Song, auf den ich am meisten gespannt war: Mesh-Sänger Mark Hockings singt auf dem langsamen, einvernehmenden, dunklen „Ball and Chain“, dessen Instrumental irgendeine kuriose Qualität besitzt, die über die Verträumtheit der bisherigen Songs hinausgeht und etwas ganz leicht Böses an sich hat. Sehr, sehr interessant.

„Last“ fungiert wiederum eher als hypnotisierender Instrumental-Song, auf dem Natasha A Twentyones Stimme eher als Instrument dient. Das erinnert mich ein kleines bisschen an die Marconi Union, die mit „Weightless“ das nachgewiesenermaßen entspannendste Lied der Welt erschaffen haben. Alice Gift liefert auf dem streichergeladenen „Last Woman Standing“ eine relativ beatfokussierte Hymne mit tollen Gesangsparts und wieder viel Abwechslung und Tiefe. Das ist fast ein bisschen opernhaft.

Die letzte Geistergeschichte erzählt Christa (La) Jerôme auf Xylophone und Vibraphone, Flöten und Streicher. Der hiesige Geist ist nichts Beängstigendes, sondern vielmehr eine fast elfenhafte Gestalt, die nach der Ferne strebt. „Watch Them All Dance“ heißt dieser Song, der klingt, als würde er eine Montage wunderschöner Landschaftsaufnahmen untermalen. Das ist in diesem Falle als Lob zu verstehen. Die dreizehn Geschichten sind auserzählt – wir sind zurück am Lagerfeuer, auf einer Akustikgitarre wird ein bisschen herumgeklampft, ein finaler Ausatmer, eine Erinnerung an die eigenen Erlebnisse, die man in seiner Kindheit oder Jugend am Lagerfeuer hatte. Schönerweise heißt dieses 45-Sekunden-Outro ausgerechnet „Every- thing Is Going To Be Fine In The End“.

Fazit: Vor diesen Geistern muss man sich nicht gruseln, man hört und ruft sie gern. Ein sehr ambitioniertes Projekt mit einer Menge toller Musiker, die gemeinsam ein tiefsinniges, ent- spannendes, wohliges, verträumtes und wunderschönes Album geschaffen haben. „13 Ghost Stories“ ist eine Gute-Nacht-Geschichte, in der man sich zu den Sänger*innen und ihren Geschichten träumt. Darüber hinaus komplettiert die Genialität des Gesamtwerks noch die Aufmachung der Platte. Das kann sich auf jeden Fall sehen und hören lassen.

Tracklist:

01 By The Fireside (part I)
02 The Dead Still Scream feat. Christer Hermodsson
03 Maybe feat. Louise Fraser
04 Brian Wilson Stole My Prom Date feat. Stefan Netschio
05 Nuages à l’envers feat. Juliette Bossé
06 The Tallest Building In Town feat. Jenna Fearon
07 Nothing Shall Remain feat. Agi Taralas
08 Upset Karma feat. Elena Alice Fossi
09 I’m The Ghost Of Your Father feat. Acapella Robotic Association
10 The Darkest Secret feat. Yvette Winkler
11 Ball And Chain feat. Mark Hockings
12 Last feat. Natasha A Twentyone
13 Last Woman Standing feat. Alice Gift
14 Watch Them All Dance feat. Christa (La) Jerôme
15 Everything Is Going To Be Fine In The End

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VÖ: 1. März 2019
Genre: Experimental Synthpop
Label: Dependent

Jean-Marc Lederman Experience im Web:

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