Eisbrecher – Liebe macht Monster (CD-Kritik)

EisbrecherWenn die Herren Eisbrecher zu einem neuen Schlag ausholen, sinken die Top 3 der deutschen Charts seit einigen Jahren verlässlich auf polare Temperaturen. „Liebe macht Monster“ heißt der neue Frontalschlag der Erfolgsformation, und siehe da: Es gibt ihn noch, den Rock’n’Roll.

Angefangen als Gothic-Rock-Band mit gewisser Bereitschaft zum gelegentlichen Kitsch als Nachfolgeband zu Megaherz, hat Eisbrecher eben genannte längst überholt und prescht verlässlich knüppelhart nach vorne. Wenn sich die Band eines nicht vorwerfen lassen kann, dann ist das die Unheiligwerdung – fast möchte man sagen, dass Alexx, Pix und Genossen hier noch einmal mehr auf die Fresse hauen. So skandieren sie in der schmetternden, breiten und großen Nummer „Es lohnt sich nicht ein Mensch zu sein“ eine Mischung aus gesellschaftlicher Bestandsaufnahme („Ich brauche keinen Kopf, mein Hirn ist aus / Ich lebe ganz dezent in Saus und Braus“) und revolutionärer Utopie („Keine Kriege / Keine falschen Götter mehr“), derweil knallt es aus allen erdenklichen Richtungen – geiler Shit! Übrigens, kleine Vorwarnung: So „Eisbrecher-typisch“ wie auf diesem Song wird es von hier an nicht mehr.

Denn schon das (in meinen Augen fantastische) Intro von „FAKK“ kommt mit 808-artigen Drums daher, wie man sie aus dem aktuellen Rap kennt, bevor es auch hier schmettert, wenn auch etwas hölzerner, behäbiger, und weniger filigran, manchmal fast stumpf, was sich auch in den Lyrics niederschlägt. Natürlich nimmt sich dieser Song in gewisser Weise die Hip-Hop-Kultur und weitere Blender aller Art zur behaarten Brust, doch „FAKK, du gehst mir auf den Sack […] Ich hasse deinen Shit, bring besser deine Mudda mit“ wird sich wahrscheinlich nicht weit oben auf der Liste der besten Eisbrecher-Refrains einordnen. Kompositorisch jedoch gibt diese Nummer einiges her: Heavy und mit geilem Spannungsbogen macht „FAKK“ instrumental das wett, wo der Text sich selbst im Weg steht (wäre es gemein, das als „Boomer-mäßig“ zu bezeichnen?). Die Bridge sowie der C-Teil kommen mit derart ein- gängigen Melodien und ordentlich Wumms daher, dass man die eher geringe Melodiösität des Refrains fast etwas bedauert. Was man jedoch sagen muss: Diesen Song als erste Single zu veröffentlichen, das ist durchaus eine Ansage. Das hier ist definitiv neues Terrain für Eisbrecher, und dient auf jeden Fall als Umbruchmarker.

Es folgt die Beziehungskiste „Nein danke“, die (zumindest mir) im Geist von Songs wie „Schwarze Witwe“ zu stehen scheint, nur mit einem eindeutig rockigeren Anstrich, der das Ganze von Gothic-Club-Level auf Arenakonzert-Level hebt. Der Refrain brettert wundervoll, und so manche schöne lyrische Idee schlägt sich hier nieder. Unübertroffen auch hier der C-Teil, wo Drums und Gitarre durch angespanntes Ex- und Implodieren den Druck nochmal ein wenig in die Höhe treiben. Schwer zu beschreiben – doch beim Zuhören bockt das gewaltig.

Ebenfalls irgendwo an frühe Eisbrecher-Tage erinnernd, dann aber wiederum völlig eigen- sinnig und unerwartet kommt „Im Guten im Bösen“ um die Ecke, mit fast schon schlagerartigen Synthies, einem Achim Färber, der ordentlich Stimmung macht, mancherlei NDW-Attitüde und Powerballadenrefrain. Der Pop-Faktor ist hier auf jeden Fall gegeben, und tatsächlich nähert sich der Song auch inhaltlich ein wenig manchen Schlagermotiven, was für eine Band wie Eisbrecher eigentlich DAS Tabu schlechthin wäre – doch die Gratwanderung gelingt, denn der Song ist ein Mitnicker sondergleichen, und das Lied hat einige wirklich unglaublich schöne Momente. Jahrelange Eisbrecher-Fans dürften sich sehr überrascht zeigen von einem Song wie diesem – Territorium wie dieses bahnte sich zwar schon auf Songs wie „Wo geht der Teufel hin“ an, ist hier jedoch auf eine (meiner Meinung nach) absolut wirkungsvolle Weise zu Ende gedacht. Eisbrecher schaffen es, die eigenen Grenzen zu überschreiten, trotzdem der eigenen DNA treuzubleiben und – vor allem – abzuliefern!

Wer jetzt jedoch geschockt ist, darf sich beim nächsten Song beruhigen. Die bissige Religionsabrechnung „Frommer Mann“ ist schwerer Industrial Rock, Alexx Wesselsky schreit uns ordentlich zusammen („Glaub kein Wort! Glaub kein Wort!“), und wer hier nicht headbangt, ist kein guter Freund. Wem dann spätestens bei „Dagegen“ nicht fast das Genick durchbricht vor ekstatischen Schmetterbewegungen des Schädels, der ist tot. Denn dieser Song ist ein dermaßener Frontalangriff, und vielleicht eine der härtesten Eisbrecher-Nummern überhaupt. Und das ist auch sehr angebracht, denn das hier ist eine Crossover-Episode: Dero Goi von OOMPH! gibt sich hier die Ehre und steht Alexx zur Seite, beide liefern exzellente Performances ab, und das längst überfällige Duett dieser zwei großen Gesichter dessen, was man gern NDH nennt, ist so eine brillante, fette und im letzten Drittel wahrhaftig epische Kooperation, dass es einem den Schlüpper auszieht vor Begeisterung. (K)ALTER, was für eine Ansage!

Nun darf ein wenig kopuliert werden: „Alles ist erlaubt, der Beweis liegt auf der Haut“ heißt es auf „Liebe macht Monster“, dem Titeltrack des Albums, der irgendwo zwischen stark sexuellen Referenzen und der zaghaften Umschreibung eines Lustmordes bewegt. „Deine Liebe macht Monster“, „Nimm dich vor mir in Acht“ – vieldeutig, unheimlich und durchaus anrüchig geht es hier zur Sache, eine ordentlich dreckige Abrocknummer, mit manchem sinisteren Augenzwinkern.

Völlig bekloppt wird es auf „Systemsprenger“: „Luft nach unten tut immer gut“ heißt es hier, und während Alexx Wesselsky den herrlichen Text zwischen Gesellschaftskritik und Selbs- tironie rappt (!), bewegt sich das Instrumental zwischenzeitlich fast schon in technoiden Bereichen, ohne dabei das Territorium des harten Rocks zu verlassen. Tatsächlich ein Systemsprenger im eigentlichen Sinne: So etwas hat man von Eisbrecher wahrscheinlich noch nie gehört. Schnoddrig, frech, laut, jung, fast im Geist der ganz, ganz frühen Megaherz.

Auch „Wer bin ich“ macht alles, aber keine Gefangenen: Unglaublich metallisch kommt die Komposition daher, mit einem fast schon hymnischen Refrain zwischen Pop und Symphonic. Mitreißend, energetisch, gepaart mit drängender Melancholie, rasenden Zweifeln, einer wiederum fast jugendlichen Überforderung mit dem Ich, die eine Generation, die sich in sozialen Netzwerken selbst vertritt und die Begriffe wie „FOMO“ (Fear Of Missing Out) kennt, gut nachvollziehen kann: „Kann mich irgendjemand hören? Kann mich irgendjemand sehen? […] Ist mir irgendwas passiert? Hab ich jemals existiert?“

Es bleibt düster: „Das Leben ist ‘ne Hure, zockt dich ab und lässt dich stehen“, wird resigniert auf dem Song „Himmel“ festgestellt, praktisch der Ballade des Albums, die von Hoffnungs- losigkeit und Wiedergewinnung des Glaubens an die eigene Stärke handelt. Es kristallisiert sich eine Geschichte heraus – die alte Geschichte vom Hinfallen und wieder Aufstehen, die Geschichte von den Arschtritten des Lebens, die dich stärker machen.

Und wo wir gerade bei Arschtritten sind: Zwischen Metal, Stadionrock und „Hey!“-Rufen ist „Kontrollverlust“ ein absoluter Kick in the ass! „Die Zeiger am Anschlag, kurz vor dem Overload, mein Puls schlägt in High Speed, Alarmstufe Rot“ – der pure Wutausbruch, die herrliche Entladung, angestaut durch das eigentlich Kleinlichste, der nervige Nachbar, das nervige Kleinkind – es ist auf sympathische Weise ein bisschen spießig, bekommt dadurch einen schön ironischen Unterbau und wird dadurch nur noch mehr zu einer Party.

„Leiserdrehen“ kommt mit lupenreinem Industrial-Pop-Intro daher, wie auch ein Daniel Graves (Aesthetic Perfection) es hätte komponieren können. Das Thema des Songs ist ebenfalls eines für die (neue) Ewigkeit: Die Reizüberflutung, das Erdrücktwerden vom Elend der Welt („Bitte, bitte, bitte mach die Nachrichten ein bisschen leiser“), einhergehend aber auch mit der Abschottung des Menschen von seiner Umwelt – was textlich ein schönes Spiel mit Perspektiven ist und mancherlei Raum für Deutung bietet, geht musikalisch ordentlich industriell ab, mit klarem, geilen Rhythmus, brillanter Gitarrenarbeit und ordentlich Kante.

Und da ich ja gerade schon über schöne Texte mit Interpretationsspielraum gesprochen habe: Bei Eisbrecher gibt es immer wieder so Zeilen, die mir im Kopf hängenbleiben, und über die ich mich einfach tierisch freue. „High Society“ enthält gleich zwei dieser Zeilen: „Das ist keine Arroganz, das sieht nur von da unten so aus“ hat mich ordentlich schmunzeln lassen, und „Dass es nicht um Geld geht, muss man sich auch leisten können“ ist schlichtweg genial. Der Song insgesamt: Ein fast schon Falco-esque dekadenter Song zum Abshaken mit infektiöser Melodie, manchem Mut zum Wortspiel („Lass uns Oberwasser saufen, während der Rest auf dem Trocknen liegt“), klarer Message, herrlicher Übertreibung – alter Schwede, macht das Spaß, diese Nummer bockt rein wie nichts Zweites, hat so viel Witz und geht wiederum gehörig ab… was will man mehr?

Nun, wie wäre es zum Beispiel mit einem Closer, der den Bogen zum Opener herstellt, mit schwersten Gitarren daherkommt, typisch Eisbrecher? „Es lebe der Tod“ heißt das Finale von „Liebe macht Monster“, das zum Mitgrölen einlädt. „Der letzte Anarchist“ heißt es hier über besagten Gevatter, und gewissermaßen wird hier eine Klammer geschlossen, parallel zur Aussage von „Es lohnt sich nicht ein Mensch zu sein“ – ergo: „Es lebe der Tod“. Ein Fazit aus allem Weltschmerz, all den Fehlern, all dem Schlechten, das das Album thematisiert (und damit ist keinesfalls die Qualität der Musik gemeint!) Mit ähnlichem Zynismus wie am Anfang, ähnlicher Melodiösität, und wiederum wunderbarer Energie, endet dieses Album – und wirft einen großen Schatten.

Fazit: Studioalbum Nummer acht der Bayern ist, wie zu erwarten, eine Hausnummer für sich. Während andere Bands eine Formel wieder und wieder aufkochen, präsentieren sich Eisbrecher auf „Liebe macht Monster“ in bisher ungesehenen Gewändern: So vielfältig, so voller Volltreffer war bisher wohl keine Platte dieser Band. Trotz des Mutes zum Austesten der eigenen Grenzen bleibt das Niveau bei allen Spielereien und Experimenten durchweg hoch, und es gibt mächtig was zu feiern. Dreckig, wie guter Rock’n’Roll sein sollte, hart, ungeschönt, mit der einen oder anderen bissigen Beobachtung, und viel Bereitschaft zur Melodiösität bis hin zur Poppigkeit, schaffen Eisbrecher ein fantastisches Album, das wahr- scheinlich jedem, der es hört, früher oder später ordentlich den Kopf wegbläst, aus den ver- schiedensten Gründen. Ich ziehe meinen Hut vor euch, Jungs! Mit „Liebe macht Monster“ habt ihr euch selbst übertroffen.

Tracklist:

01 Es lohnt sich nicht ein Mensch zu sein
02 FAKK
03 Nein danke
04 Im Guten im Bösen
05 Frommer Mann
06 Dagegen (feat. Dero Goi)
07 Liebe macht Monster
08 Systemsprenger
09 Wer bin ich
10 Himmel
11 Kontrollverlust
12 Leiserdrehen
13 High Society
14 Es lebe der Tod

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VÖ: 12.03.2021
Genre: Rock/NDH
Label: Sony Music

Eisbrecher im Web:

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