Agonoize – Midget Vampire Porn (CD-Kritik)

AgonoizeAggrotech, Hellektro, Agonoize. Die Genrebezeichnungen sind zackige Wortspiele, doch egal, wie man es nennt – auch im 17. Jahr scheitert Chris L. nicht am Schaffen bemerkenswerter Musik. Mit „Midget Vampire Porn“ erscheint nun ein Album mit einem der vielleicht besten Titel dieses Jahres, eröffnet wird das Werk durch das sehr atmosphärische, gemächlich schreitende „Apeirophobia“, das klingt, als steige man die spärlich beleuchteten und im Nebel nur schwer zu erkennenden Treppen zur Hölle hin- unter.

„Weltenschmerz“ lässt uns dann wieder in die Tiefen des typischen Agonoize-Sounds abgleiten. Die charakteristischen, verzerrt und daneben klingenden Vocals zusammen mit den dystopischen, (selbst-)zerstörerischen Texten („Ich habe Angst, es bringt mich um“) – gleichzeitig schlägt Chris L. hier einige sehr sozialkritische Töne an. „Haben wir nichts gelernt?“, fragt er, und stellt fest: „Mitgefühl wird aberkannt“. Der Song funktioniert, wirkt jedoch mehr wie eine Erweiterung des Intros. Auf „Blutgruppe Jesus (-)“ hingegen geht es dann wieder sehr zur Sache. Wummernder Sound, und schöne Zeilen wie „Religion wird zum Schwanzvergleich“. Dieser Song ist definitiv Jesus-negativ: „Dein Gott hat hier Haus- verbot“ könnte man eigentlich mal auf ein Schild drucken, das man bei den kommenden Konzerten vor die Clubs stellt, als Information zum Einlass. Agonoize-Fans bekommen hier alles geboten, was man sich nur wünschen kann. Es wird Blut getrunken, einerseits als prägnant-brutales Bild, andererseits eine klare Parallele zu dem zugegeben sehr kanni- balisch anmutenden Kirchenbrauch: das Brot als der Leib Jesu, der Wein als sein Blut.

„Schmerzpervers 2.0“ haut ein „wie ein Blitz in deinen Genitalbereich“, um es in den Worten des Chris L. zu sagen. Das Thema ist somit abgesteckt, was darüber hinaus bleibt, ist auditiver Vampirporno. Typisch laut, und gleichzeitig nihilistisch gleichförmig und eingängig zündet der Song, die Formel des Chris L. genauso erfolgreich anwendend wie „Kiss Me Kill Me“ – stark basslastige Drumschläge, ein omnipräsentes Brummen und Synthesizerwände aus Eis, durch deren Kälte und Unerbittlichkeit kein Durchdringen möglich scheint. Sehr eingängig ist hierbei vor allem die Bridge, auch wenn der im C-Teil einsetzende Chor, ansingend gegen das pechschwarze Technologiegewitter, für einen kurzen Moment irgendwie deplatziert wirkt, die Wirkung aus Tanzwut und genereller Angespanntheit gerade dadurch jedoch zu steigern weiß.

Mindestens genauso fies klingt auch „Populär“, während „Teufelskind“ im Intro ein verwirrend-verführendes Synthglitzern einführt, über das sich die Drums wie futuristische Mikrotechnologiefabrikmaschinen drehen. Omnipräsent ist die altbekannte und liebge- wonnene Verzerrung, die diese Musik wie ein aus Stahl gegossenes Monster durch die Lautsprecher marschiert. Mit langsamem Rhythmus und mancherlei Geflicker klingt dieser Song wie einer Mischung aus Gänsehaut erzeugenden Fesselspielen und dem Inneren eines NASA-Computers.

Auch „A Vampire Tale“ legt das Abgründige offen – trotz des englischen Songtitels sind die Lyrics deutsch, und das Stampfen bleibt allgegenwärtig. Dieser Song, der den Vampirismus schon im Titel trägt, lässt schon erahnen, dass das Konzertpublikum wohl auch die folgenden Agonoize-Gigs von Kopf bis Fuß in Kunstblut eingesaut verlassen wird. Schöne Sache! „Bullet“ wiederum zieht das Tempo ein wenig an, und natürlich ist die titelgebende Patrone im Auge des lyrischen Ichs – eine Hasserklärung.

Als „Antiheld“ könnte man Chris L. wirklich bezeichnen, schließlich wurde das Kunstblut-Verbot, das auf dem Amphi 2018 über den Agonoize-Auftritt vergangen wurde, viel diskutiert. Statt Blut gab es Wasser auf die Häupter (und Geräte) der Fotografen, und Chris singt nun: „In deinen Augen bin ich asozial.“ Zwischen faltigen Ärschen, die es zu küssen gilt („Kiss my ass goodbye“, natürlich am Todestag) und „Eins, zwei, drei – ich bin der Antiheld“ wird Chris, der hier eine Art Hard-Electro-Disstrack präsentiert, an einer Stelle überrasch- end positiv: „Das Leben ist so schön, man muss es nur verstehen.“ Der Text ist an einigen Stellen fast schon bemerkenswert absurd, und genauso muss das. Anknüpfend daran heißt der nächste Song „Homme Fatale“, ein weiteres Stück, zu dem es sich grandios abgehen lässt. „Wir Männer sind fatal, anscheinend ist dir das egal.“

Dieselbe (Blut-)Linie verfolgt auch „No Place For Strangers“, fieses Fiepen akzentuiert ein weiteres Digitalbasstrommelorgiengemetzel. Der Closer der Platte, „True Blood“, hingegen weist wieder darauf hin, dass diese Band neben den Stampftiraden auch wirklich an- sprechende Soundscapes und Atmosphären produzieren kann. Wie ein Abspann, ein letztes Erheben, ein Abschiedsbrief. „I never believed in you, I never believed in me“ – nach dem wie für die Bühne aus dem Ei gepellten Gekloppe der letzten elf Songs liefert dieser Closer zum Abschluss noch einmal eine wirklich beeindruckend klingende Abwechslung. Ein tolles Outro.

Auch die zweite CD bietet einiges an schönem Material: Das „Krebsgeschwür“ der Religion enthält auf „Inferno“ eine Absage, und die Bassline hat etwas sehr Bestechliches. „Kingdom Of Darkness“ wird durch eine Bombenalarmsirene eingeläutet und wütet dann wieder wie gewohnt in martialischem Rhythmus. „1, 2, 3“ wirkt wie ein Kommando, das gar nicht zwangsläufig notwendig ist – auf den Konzerten gehen die Fans sowieso ab. „Wenn du schon abkackst, sind wir noch immer hier.“ Auf „Gleichschritt“ wird dann das Wort „Porn“ im Titel gebührend unterstrichen, mit Voice Samples aus einem Porno, in welchem uns eine Frau ein bisschen was vorstöhnt. „Alone In The Dark“ schließlich hat weder etwas mit der Videospielreihe noch dem schrecklichen Film zu tun, vielmehr schließt dieser Song mit einer Mischung aus gewohnt penetranten Rhythmusinstrumenten und böse wabernden Orgel- und Synthesizer-Klängen die Bonus-CD von „Midget Vampire Porn“ mit heruntergeschraubtem, sich ins Hirn fräsenden Tempo und reichlich Atmosphäre ab.

Fazit: Die Drums wummern, bis man Kopfschmerzen kriegt, eiskalt und bitterböse wittern die 13+5 Songs daher, es wird geblutet, gestorben, getötet, und Ärsche werden geküsst. Keine großen Experimente, Alles also, wie es sein soll. Agonoize ist die Musik, zu der Satan höchstpersönlich tanzt. Geil.

Tracklist:

CD1
01 Apeirophobia
02 Weltenschmerz
03 Blutgruppe Jesus (-)
04 Schmerzpervers 2.0
05 Kiss Me Kil Me
06 Populär
07 Teufelskind
08 A Vampire Tale
09 Bullet
10 Antiheld
11 Homme Fatale
12 No Place For Strangers
13 True Blood

CD2
01 Inferno
02 Kingdom of Darkness
03 Gleichschritt
04 1, 2, 3
05 Alone In The Dark

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Release: 25.10.2019
Genre: Hellektro
Label: Repo Records

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