Reichsfeind – Chasm Walk (CD-Kritik)

ReichsfeindWenn das Debütalbum schon einschlägt wie eine Bombe und von Kritikern und Musikerkollegen hoch gelobt wird, dann hat man es meistens schwer den weiteren Erwartungen standzuhalten und mit weiteren Werken auf vergangene Erfolge anzuknüpfen. Aber genau das ist die Aufgabe, vor der Timo Revna mit seinem Projekt Reichsfeind stand. Das Erstlingswerk Living in Space konnte auf ganzer Linie überzeugen und nur wenige Kritikpunkte wurden angemerkt. Seit der Veröffentlichung im November 2017 sind Reichsfeind regelmäßig mit bekannten Szenegrößen auf Tour, spielen Solokonzerte und wurden auch bei den meisten DJs im Repertoire aufgenommen. Tanzbare Rhythmen und melodische Klänge die als Grundlage und Sprachrohr für ernste Themen dienen, das hat die Szene schon immer gemocht und so haben Reichsfeind damals voll ins schwarze getroffen.

Jetzt, fast genau zwei Jahre später erscheint mit Chasm Walk die sehnlich erwartete Fortsetzung. Und die hat es mal in sich. Insgesamt 18 Tracks schmücken den Langspieler und warten darauf losgelassen zu werden! 14 brandneue Stücke eröffnen das Album und schon Track Nummer eins hat es mir angetan. „Arise“ ist mehr ein Intro als ein eigenständiger Song, aber er hat eine Besonderheit. Wie viele Künstler und Bands haben wohl Ausschnitte aus berühmten Reden verwendet, allem voran Martin Luther Kings „I Have A Dream“ wurde bestimmt Hunderte, wenn nicht sogar Tausende male in den verschiedensten Songs, in allen nur erdenklichen Genres verwendet und immer und immer wieder rezitiert. Auch andere berühmte Reden werden regelmäßig musikalisch angepackt, aber was sich Reichsfeind hier getraut haben, ist in meinen Augen etwas ganz Besonderes und in den aktuell schwierigen Zeiten ein ganz starkes Zeichen. Keine uralte Rede wurde verwurstet, sondern eine ganz aktuelle, die aber das Zeug dazu hat, irgendwann den gleichen Stellenwert wie ihre berühmten Vorgänger zu bekommen. Die Rede ist von Greta Thunbergs „I Am Afraid“ Rede. Großartige Idee und noch dazu großartig umgesetzt. Bisher ist mir kein anderes Werk zu Ohren gekommen, das Thunbergs Worte nutzt, aber ich bin sicher, es folgen noch einige. Hört man sich nun die folgenden 13 Songs an, hat man ein thematisch super breites Spektrum, das bedient wird. Klimawandel, (verkorkste) Politik, gescheiterte Existenzen und fehlgeleitete Geister werden von elektronischen Klängen getragen und untermalt. Alle Tracks sind ähnlich aufgebaut und können musikalisch überzeugen. Ein eingängiger Beat eröffnen den Song, bringt langsam aber sicher den ganzen Körper in Schwung und lädt zum Tanzen ein. Ein zweites Element lässt nicht lange auf sich warten und erhöht den Druck bis zum Einsetzen des Gesangs. Dieser klingt selten gleich. Immer verzerrt, geautotuned oder in die ungewöhnlichsten Sphären gepresst. Nur weil die Songs sich in ihrem Aufbau ähneln, bedeutet das aber nicht, dass auch alle gleich sind. Reichsfeind haben bei Chasm Walk mit den verschiedensten Elementen gespielt, die unterschiedlichsten Rhythmen erschaffen und neu kombiniert. Auch Passagen, die augenscheinlich nicht zusammenpassen, harmonieren hervorragend. Manchmal sind es auch die Kleinigkeiten, die den Songs den besonderen Touch verleihen und ihn so aus der Masse hervorstechen lassen. Bei „Ocean“ beispielsweise ist das leise Meeresrauschen, das nicht nur hervorragend zum Titel passt, sondern sich auch noch perfekt in das Gesamt- konzept des Songs einfügt. Hat man sich dann durch 14 erstklassige musikalische Werke gehört und getanzt, bekommt man noch vier Zuckerl serviert, die das Album abschließen. „Beauty of Blur“ erscheint zusätzlich im Kennedy und im Chadouze Airplay Mix. „Dervish“ erstrahlt im neuen zweiten Gewand als Clubversion von Maneater und kann so sogar noch mehr überzeugen als das Original, und „Riots“ bekommt im Keyfabe LaNoise Mix die Krone aufgesetzt.

Fazit: Chasm Walk ist ein mehr als gelungenes Nachfolgewerk von Living in Space und kann sicherlich an die ersten Erfolge anknüpfen. Allerdings kann ich nicht behaupten, hier eine musikalische Entwicklung gehört zu haben. Thematisch sehr ernst und gefühlt der Zeit ein kleines bisschen voraus konnte Timo Revna schon in seinem Debütalbum überzeugen und das hat er nun bestätigt. Die große Entwicklung ist in zwei Jahren nicht geschehen, aber einen Rückschritt gab es immerhin auch nicht. Reichsfeind bleiben also auf einem gleichbleibenden solidem Niveau und werden sicher noch das eine oder andere Mal von sich hören machen.

Tracklist:

01 Arise
02 Dervish
03 Club Confession
04 Stalker
05 Anti
06 Sonder
07 Oceans
08 Beauty of Blur
09 Riots
10 Chasm Walk
11 Amphetamine
12 Troublemaker
13 Retox
14 Oblivion
15 Beauty of Blur (Kennedy Mix)
16 Dervish (Club Mix by Maneater)
17 Riots (Kayfabe LaNoise Mix)
18 Beauty of Blur (Chadouze Airplay Mix)

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Release: 22.11.2019
Genre: Electronic/Alternative
Label: E-Noxe / Equinoxe Records

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