Orange Sector – Endzeit (CD-Review)

nullPassend zum 25-jährigen Bandjubiläum brachte die deutsche Kult-EBM-Band Orange Sector am 03.11.2017 eine Doppel-Compilation unter dem Titel „ENDZEIT“ auf den Markt. Für die beiden Soundtüftler Lars Timm Felker & Martin Bodewell war es eine Herzensange- legenheit sich bei ihren Fans mit dieser einzigartigen Compilation für tolle 25 Jahre EBM zu bedanken. Die erste CD wird nicht nur die Tanzflächenknaller der Decade 02 (2006 – 2017) wie zum Beispiel „Tanzbefehl“, „Dynamit“, „Krieg $ Frieden“, „Der Maschinist“, „Mono- ton“ & „Terroristen“, sondern auch einige neue Songs beinhalten. Bei der zweiten CD handelt es sich um eine „Best of“ Remix-Compilation. Hier erwarten euch Remixe u.a. von Bands wie AD:keY, Dominatrix, Plastic Noise Experience, Frontal, NZ, Blitzmaschine, NordarR und noch einige mehr. Dann wollen wir doch mal in das gute Stück reinhören und schauen was die beiden Herren da zusammengestellt haben.

Der Tanzflächenkracher „Tanzbefehl“ eröffnet den Reigen aus trockenem Bass, schnellem Rhythmus, düsterer Atmosphäre und der reduzierter Ästhetik der Electronic Body Music. Explosiv ist „Dynamit“ und handelt von Sprengstoffattentäter, die sich selbst in die Luft sprengen. Orange Sector sind gewiss keine Band, die seichte Unterhaltung zur Partyvolksbelustigung abliefern: Sie legen den Finger in die gesellschaftlichen Wunden und streuen gern noch etwas Salz nach. Dieser Track ist von untergründiger Bösartigkeit und die leicht verzerrten Shouts geben einen satten Sound ab. Vom Stil her ist „R.I.P“ soundtechnisch recht ähnlich wie „Dynamit“: Ein noch etwas dichterer Sound mit verzerrten Shouts. „Untertage“ klingt nach harter, schwerer Arbeit, nach Buckeln und ist so düster, wie es unter Tage zugeht. Dieses Lied fängt die Szenerie von Dunkelheit, Enge und Schmutz ein. Sehr kühl, technisch und mit Sirenengeheul versehen ist „Krieg und Frieden“. Die Vocals sind hier viel differenzierter eingesetzt: Es flüstert, es spricht, es schreit. „Endzeit“ geht rhythmisch einen etwas komplexeren Weg und wirkt in seiner Art wesentlich gechillter, aber nichtsdestoweniger trocken. Der nächste Track „I Hate You“ kommt trotz der geballten Botschaft der ausdrücklichen Abneigung sehr satt im Sound rüber. Es tut einfach gut, es sich mal von der Seele zu schreien: „I hate you!“. Wer auch immer dabei gemeint sein mag. „Der Maschinist“ lehnt sich thematisch und stilistisch dem Track „Untertage“ an: Arbeiter, Malochen, im Bauch der Maschine als Sinnbild für die Hölle auf Erden. Schließt man die Augen bei „Geile Zeit“ erinnert es ganz entfernt an Kraftwerk. Der schnelle Sechszehntelbeat zusammen mit den Synthieklängen aus der Anfangszeit der synthetischen Klangerzeugung geben diesem Stück so richtig einen Retro-Touch mit. In „Glasmensch“ geht es um die Durchsichtigkeit des Menschen im Internet und Computerwelt, dessen Daten praktisch von jedem „erschnüffelt“ werden kann „Im Netz bist Du nicht allein, hältst Du nichts geheim!“. Mit „Monoton“ macht Orange Sector etwas, was in einem anderen Genre gern als Potpourri bezeichnet wird. Die Titel ihrer Hits werden hier aufgereiht und sie spannen thematisch diesen Bogen, um was es hier eigentlich geht: Um die Botschaft: „Monoton – wir schwimmen gegen den Strom!“. Es geht um die Musik, um die Botschaft und den Protest gegen gesellschaftliche Fehlent- wicklungen. Mit Einspielung eines Vocal-Samples startet der Track „Terroristen“ mit einer düsteren Botschaft, die während des Tracks immer weiter ergänzt wird durch weitere Samples. Ganz abgeklärt erklingt der Track „Farben“. Im Vergleich zu den anderen wirkt er durchaus ruhiger und zurückgenommener. Nun kommen wir zu einem Bemerkenswerten Depeche Mode Cover: „Pleasure, Little Treasure“ wird hier sehr schön mit dem DM-typischen metallischen Klängen untermauert. Ansonsten ist es ein recht ungewöhnlicher EBM-Titel geworden, dem man seine Wurzeln durchaus anmerkt. Toll gemacht! „Warte, warte nur ein Weilchen“. Erstmals auf diesem Album veröffentlich ist es ein Cover eines Swingstücks aus den 30er Jahren mit bitterbösem Text über den Serienmörder Haarmann aus Hannover, der 1924 verurteilt wurde. Dieses Stück stammt aus der Operette „Marietta“ von Walter Kollo und in Hannover waren damals etliche Versionen dieses Liedes im Umlauf. Nun findet sich eine weitere Version in EBM-Style auf diesem Album. Das letzte Lied auf der ersten CD des Doppelalbums ist „Das letzte Lied“, welches Lied könnte wohl passender sein mit diesem lasziven Rhythmus.

CD2: Auf der zweiten CD befinden sich ganze 14 Remixe der Titel von der ersten CD und teils von weiteren. Einige stelle ich Euch vor, die mir aufgefallen sind. „Glasmensch (Plastic Noise Experience Remix)“ bekommt vom Hamburger Claus Kruse einen super ätherischen Glasanzug verpasst. Kühle Maschinensounds und Vocoder lassen diesen Track klingen wie aus einem alten Computerspiel. Sehr spannende Umsetzung des Themas. Der Remix von „Geile Zeit (Frontal Remix)“ streicht das Thema noch einmal richtig schön raus. Die freche Wirkung ist wirklich chic und macht diesen Remix zu einer witzigen Version von den Rostockern. Die EBM-Band Zweite Jugend aus Osnabrück bearbeitete „Götter (Zweite Jugend Remix)“ und verpassen diesem einen recht organischen Punkstyle mit echtem Schlagzeug. Das geht ab wie auf alten Punkkonzerten in den frühen 80er Jahre. „Touch (Club Mix)“ ist als Synthiepop-Titel der Band Psyche sehr ungewöhnlich auf diesem Album und fällt dadurch natürlich auf. Das Orange Sector zuweilen gern Genre- grenzen passieren, ist bekannt. Der Remix von „Terroristen (Dominatrix Remix)“ fügt ihm eine Prise Trance hinzu, ohne es zu verflachen in seiner strengen Thematik. Es bekommt stattdessen eine chice Clubnote. Blitzmaschine hat aus „Farben (Blitzmaschine Remix)“ einen frostig ätherischen Clubhit gezaubert und auf diese Weise sehr interessant neu interpretiert. Bereits in der Vergangenheiten haben die Hamburger auch schon für Mono Inc. einen Remix beigesteuert und sind recht kreativ in der Bearbeitung.

Fazit: Zwei CDs voll gepackt mit den gesammelten Tanzflächenkrachern der letzten 11 Jahre zwischen Wiederbelebung „Here We Are (Back Again)“ (2005) und der letzten EP „Farben“ (2016) präsentieren den staubtrockenen EBM von Orange Sector. In jenen 11 Jahren hat Orange Sector „sein“ EBM wie in einem Vakuumglas und Laborbedingungen weitergezüchtet. Völlig unbeirrt stampft der Rhythmus seinen Weg zur geballten Urschrei-Therapie von Lars Timm Felker und Martin Bodewell. Der Sound ist radikal reduziert auf das Wesentliche, gelegentliche klangliche Spielereien ergänzen die massive Wucht des Basses. Und doch hört man immer wieder Einflüsse aus anderen Genres und Bands, was die Kreativität ja nur befördert wie zum Beispiel das Cover eines Depeche Mode Titels. Der atmosphärische Hauptträger ist der Gesang bzw. die Shouts, die oft in rhythmisch ver- setzten Wechsel die Stimmung vorgibt: mal verzerrt, bösartig leise flüsternd und mit voller Aggression die Wut herausschreiend. Und Orange Sector haben eine Protest-Message, die sie unmissverständlich klarstellen und die Welt hinausschreien. Das Album fasst das Werk der letzten 11 Jahre auf großartige Weise zusammen und man bekommt so auf einen Schlag eine krachende Sammlung an atemberaubenden EBM-Stücken, ergänzt durch eine Vielzahl sehr spannender, kreativer Remixe.

Tracklist:

CD1:

01 Tanzbefehl
02 Dynamit
03 R.I.P.
04 Untertage
05 Krieg und Frieden
06 Endzeit
07 I hate You
08 Der Maschinist
09 Geile Zeit
10 Glasmensch
11 Monoton
12 Terroristen
13 Farben
14 Pleasure, little Treasure
15 Warte, warte nur ein Weilchen
16 Das letzte Lied

CD2:

01 Monoton (NZ rmx)
02 Glasmensch (Plastic Noise Experience rmx)
03 Der Maschinist (Angstfabrikk rmx)
04 Krieg und Frieden (AD/Key rmx)
05 Geile Zeit (Frontal rmx)
06 Götter (Zweite Jugend rmx)
07 I Hate Oyu (Fucking Noise mix)
08 Touch (Club mix)
09 Endzeit (Wellencocktail rmx)
10 Sturm (Martin Bodewell rmx)
11 Terroristen (Dominatrix rmx)
12 Untertage (Ionic Vision rmx)
13 Im Stahlwerk (NordarR rmx)
14 Farben (Blitzmaschine rmx)
15 Tanzbefehl (Run Level Zero rmx)
16 Pleasure, Little Treasure (Alternative Bass rmx)
17 Das Letzte Lied (Lars Timm Felker rmx)

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VÖ: 03.11.2017
Genre: EBM
Label: Infacted Recordings

Orange Sector im Web:

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