In Extremo – Kompass zur Sonne (CD-Kritik)

In ExtremoBei wenigen Bands kann man sich über Jahrzehnte so auf gute Qualität und immer neue Meisterwerke verlassen, wie bei den Berlinern von In Extremo. Seit mittlerweile sage und schreibe 25 Jahren rocken sie die Bühnen der Republik. In dieser Zeit wurden in konstanten Abständen immer wieder Studioalben veröffentlicht, die es regelmäßig zu Top-Platzierungen gebracht haben. Nun kommt 2020 inmitten der Corona-Krise am 08.05. das 13. Studiowerk namens »Kompass zur Sonne« auf den Markt. Dabei wird schon bei den vier Singleauskopplungen klar, dass In Extremo auch dieses Mal kein Blatt vor den Mund nehmen und mit gewohnter Klanggewalt zu über- zeugen wissen

»Kompass zur Sonne« beginnt gleich mit dem schon bekannten Track „Troja“. Ein klug gewählter Song als Opener. Die perfekte Mischung aus mittelalterlichen Elementen und brachialem Rock. Hier wird gleich mal klar angezeigt, in welche Richtung die Reise gehen soll. Der namensgebende Track „Kompass zur Sonne“ kommt etwas verhaltener daher, kann dafür aber mit einem durchdachten Text glänzen, der mit Nachdruck zurückbleibt. „Lügenpack“ wirkt weniger raffiniert und durchdacht, hat dafür durch seine Einfachheit im Refrain definitiven Ohrwurmcharakter. Alleine schon deswegen hat dieser Titel seine Daseinsberechtigung. Das Intro von „Gogiya“ kann schon fast in die Irre führen und eine Verschnaufpause andeuten. Das Duett mit Russkaja-Frontman Georgij Makazaria ist aber genau das Gegenteil. Durch die volksliedhaften Elemente lädt der Titel dazu ein, die Beine zu schmeißen und zu feiern. Lieder komplett in Latein sind keine Seltenheit auf In Extremo Alben und auch dieses Mal kommt die tot geglaubte Sprache nicht zu kurz. „Salva Nos“, was so viel bedeutet wie „Rette uns“ bekommt zu den schweren Klängen noch einen langen Sprechpart und bietet so die gewünschte Abwechslung. Melancholisch und gefühlvoll starten wir mit „Schenk noch einmal ein“ in die zweite Hälfte des Langspielers. Ruhige, hintergründliche Klänge lassen dem Gesang Raum sich zu entfalten und den größten Part des Songs einzunehmen. Die raue Stimme von Sänger Michael Rhein passt hervorragend zu der gedrückten Stimmung und dem traurigen Titel. Auch traurig, aber auf ganz andere Art und Weise ist „Saigon und Bagdad“. „Habt ihr denn nichts gelernt?“ fragt die Band immer wieder. Noch mehr Nachdruck bekommen diese Zeilen, als sie ein Kinderchor singt. Da geht einem der Text schon wirklich nahe. Pearl Harbor, Koreo, Cuba, Stalingrad… Die Liste scheint nicht zu enden und an kann die Wut, dass scheinbar keiner was daraus gelernt hat förmlich in jeder Zeile spüren. Wer sich für die Deluxe Version entscheidet, bekommt diesen Song als Bonus noch einmal in einer Elektroversion geboten. Hier geht die Message zwar ein bisschen verloren, der Song bleibt aber dennoch im Ohr. Gitarrenge- schrammel das vom ersten Klang an überzeugen kann, bekommt man mit „Narrenschiff“ geboten. Ein Song der schnell ins Ohr geht und durch seine Vielseitigkeit überzeugen kann. Das schwedische Volklied „Vem kan segla förutan vind?“ ist die textliche Vorlage für „Wer kann segeln ohne Wind?“. Hier wurde die Entscheidung getroffen, den Text sowohl in Originalsprache als auch auf Deutsch zu singen und über die Wahl des Duettpartners kann man sich hier wirklich freuen. Niemand Geringeres als Johan Hegg, Sänger von Amon Amarth, übernimmt die schwedischen Passagen. Beeindruckende Kombination, auch wenn man hier noch viel mehr hätte ausholen können. Auch ein Trinklied darf natürlich nicht fehlen und das bekommen wir mit „Reiht euch ein ihr Lumpen“. Titeltechnisch perfekt abgestimmt folgt darauf „Biersegen“. Der Track beginnt schwer und träge, nimmt aber schnell Fahrt auf und man kann schon nach wenigen Takten nicht mehr still sitzen. „Biersegen“ ist der zweite Song auf diesem Album, der komplett auf Latein gesungen wird. Nach dem wilden Gelage wird es zu Ende dann noch mal akustisch und ruhig und die sieben Berliner vertonen in „Wintermärchen“ das gleichnamige Gedicht von Otto Ernst. Ein sehr stimmungsvoller Abschluss. Neben der bereits erwähnten Elektroversion von „Saigon und Bagdad“ gibt es bei der Deluxe Version des Albums noch einen zweiten Bonustrack „7 Brüder“, der die Geschichte von sieben Seeleuten erzählt, die sich gemein- sam durch die Weltmeere schiffen lassen, obendrauf.

Fazit: Man kann bei jedem Klang das Herzblut hören, dass die Musiker auch nach so vielen Jahren Bandgeschichte noch in ihre Werke stecken. Manchmal reicht Herzblut alleine aber nicht aus, um zu überzeugen. Ein solides Album, aber sicherlich nicht das größte Meister- werk von In Extremo. Man schafft es sich die Titel nach mehrmaligem Durchlauf schön zu hören und mit dem Album Spaß zu haben, allerdings kann der Langspieler meiner Meinung nach musikalisch nicht mit seinen Vorgängern mithalten. Dafür wirken aber die Texte sehr durchdacht und so in weiten Teilen so ernst, dass man sich auf Kompass zur Sonne hierauf mehr fokussieren kann.

Tracklist: (Deluxe Version)

01. Troja
02. Kompass zur Sonne
03. Lügenpack
04. Gogiya [feat. Russkaja]
05. Salva Nos
06. Schenk nochmal ein
07. Saigon und Bagdad
08. Narrenschiff
09. Wer kann segeln ohne Wind? [feat. Johan Hegg]
10. Reiht euch ein ihr Lumpen
11. Biersegen
12. Wintermärchen
13. 7 Brüder (Bonustrack)
14. Saigon und Bagdad (Club Mix / Bonustrack)

Kaufen: Amazon

Release: 08.05.2020
Genre: Mittelalter / Folk, Rock
Label: Vertigo Berlin

In Extremo im Web:

Homepage

Facebook