FrontLineAssembly – Wake Up The Coma (CD-Kritik)

Seit über drei Jahrzehnten bahnt sich FRONT LINE ASSEMBLY aus Vancouver, die einst von Bill Leeb und Michael Balch gegründet wurden und zu einer der einflussreichsten Electro-Industrial-Formationen zählen, den Weg durch die dunkle Electro-Szene.

Nach Erscheinen der letzten Scheiben „Echogenetic“ (2013), dem Remixalbum „Echoes“ (2014) und das im Juni 2018 veröffentlichte 12-Track Full-Length-Album „Warmech“, dass das erste Album nach dem tragischen Tod von Jeremy Inkel (Synthesizer), der am 13. Januar 2018 im viel zu frühen Alter von nur 34 Jahren verstarb, ist es nun soweit: „Wake Up The Coma“ – so lautet der Titel des neuen Albums, das am 08. Februar via Metropolis das Licht der Welt erblicken wird.

Das Album beginnt mit dem Sahnestück „Eye On You“ (ft. Robert Görl), der Singleauskop- plung von Mitte November. Bill Leeb schafft zusammen mit „Robert Görl“ von „DAF“ einen bissigen Industrial/EBM Titel mit blubbernder Basslinie, der großartig abgeht und eine spannungsgeladene Dynamik entfaltet. Der klassische EBM-Titel „Arbeit“ mit deutsch-englischem Text basiert zwar auf dem trockenen, dumpfen EBM-Viervierteltakt, aber die klanglichen Zutaten sind teils fluffig, mit vielen Effekten unterlegt und der Break zwischendrin führt ganz kurz in andere elektronische Welten. Langweilig wird es sicher nicht mit dem nächsten Titel, auch wenn man das Gefühl anfangs hat, nicht richtig zu hören. Ja, „Rock Me Amadeus“ (ft. Jimmy Urine) ist eine Coverversion des gleichnamigen Falco-Hits von 1985. Ob der Spieltrieb mit „Bill Leeb“ durchgegangen, es eine Hommage an seine österreichische Herkunft ist oder ob hier ein weiterer musikalischer Veteran „Falco“ seine Würdigung finden soll, ist eine gute Frage. Ich vermute, es ist von allen etwas. Zu diesem ungewöhnlichen Cover wurde Sänger „Jimmy Urine“ von der amerikanischen Electropunk-Band „Mindless Self Indulgence“ gebeten. „Rock Me Amadeus“ erreichte damals als bis heute einziges deutschsprachiges Lied die Spitze der US-Billboard-Charts. „Tilt“ im mittleren Tempo und breakbeatmäßigem Rhythmus geht mehr in Richtung Dark Electro und besticht durch den wechselnden verzerrten Sprechgesang, der hypnotisch immer wieder dieselben Textzeilen wiedergibt. „Hatevol“ dagegen ist geradezu brutal und düster. Der Bass knallt die Viertel dumpf runter, wogegen sich der anfänglich Düsterklang in eine wohlgefällige Melodie entfaltet. Das erzeugt eine tolle Spannung und neben dem Beat zeichnet dies einen guten Clubtitel aus. Der nächste Track „Proximity“ schleicht sich leise heran und hat im Vergleich doch etwas Sphärisches, was noch mitschwingt, wenn der Beat in eine höhere Schlagzahl wechselt. Elektronisches Gezirpe kündigt „Living A Lie“ an, das anfangs wie eine experimentelle Soundcollage klingt. Der Takt stampft in der höheren Umdrehungszahl und peitscht den Track erbarmungslos voran — perfekt für den Tanzboden und nicht endend wollende Ekstase der Tanzenden. Dem Titelsong „Wake Up The Coma“ (ft. Nick Holmes) verlieh „Nick Holmes“, Sänger der britischen Darkrock-Band „Paradise Lost“, seine Stimme. Irgendwie erinnert der Refrain frappierend an Titel des Grungesounds der 90er Jahre als musikalisches Zitat. „Holmes“ bringt aus seinem Genre die verzerrten Gitarrenbretter mit, die sich gekonnt in den elektronischen Unterbau einfügen. Der Track erhält durch den massigen Soundteppich des Refrains den hymnischen Charakter, dem man sich gern hingibt. Das Gefühl des Schwebens lässt nach, weil „Mesmerized“ einen sofort wieder auf dem harten Boden des düsteren Elektro aufschlagen lässt. Trotz der bedrohlichen Tonart wirken die Handicaps charmant historisch im Klangbild und irgendwie witzig. Ganz leicht und spielerisch beginnt „Negative Territory“, wobei auch hier eine Art dräuende Schwere vorherrscht, die sich zum Refrain hin in melodiöses Wohlgefallen auflöst. „Negative Territory“ klingt ein wenig wie „Wake Up The Coma“ in einer ruhigeren Variante mit einer Prise Synthiepop Harmonie. Wo wir schon beim Synthiepop sind, davon hat auch der vorletzte Titel „Structures“ etwas abbekommen. Zum Ausklang schwebt das balladeske „Spitting Wind“ (ft. Chris Connelly) herein. Dabei gibt hier Chris Connelly (Ex-Ministry und Revolting Cocks) seine Stimme dazu und der Charakter dieses Tracks hebt sich ähnlich wie „Adameus“ ab von den Basics von Front Line Assembly. Der Sound ist schwebend und fast zart zu nennen, die Stimme steuert aber jede Menge Drama und Ungeschliffenheit dazu.

Fazit: Gründer „Bill Leeb“ (52 J.) kann mit seinem Projekt „Front Line Assembly“ zurecht als Urgestein und prägende Band des EBM/Industrial gelten. Zahlreiche Alben seit dem Gründungsjahr 1986 — es müssten mit diesem und den ersten zwei ohne Label 28 Alben sein (vgl. discogs.com) — pflastern dessen Weg. Um so bemerkenswerter ist es, wenn auf diesem Album „Robert Görl“ (64 J.) auftaucht, der 1978 das EBM und Elektropunk-Projekt „DAF — Deutsch Amerikanische Freundschaft“ gründete. So greift eine „Legende“ auf eine weitaus ältere „Legende“ der elektronischen Musik zurück und beide legen einen wahrhaften Monstertrack mit „Eye On You“ hin. Die Alters- und Jahresangaben stehen absichtlich, denn von der Gründungs- phase der elektronischen Musik sind wir mittlerweile über eine Generation entfernt, was dem Lebensgefühl dieser Musik in keiner weise Kraft raubt — im Gegenteil! Es klingt in meinen Ohren wie Back to the Roots und zurück in die Zukunft. Die 80er gelten zurecht als besonders kreatives und inspirierendes Jahrzehnt in der (alternativen) Musik und glücklicherweise lebt dieser Spirit weiter. Wobei es kaum zu gewichten ist, was hier die aufregendere Nachricht ist, dass „Robert Görl“ mitmischt oder dass Front Line Assembly „Falco“ covern! Auch die anderen Kollaborationen mit „Nick Holmes“ und „Chris Connelly“ fügen dem Album sehr spannende Momente und rockige Atmosphäre hinzu, ohne zu gewollt experimentell und abhoben zu wirken.

Tracklist:

01. Eye On You (ft. Robert Gorl)
02. Arbeit
03. Rock Me Amadeus (ft. Jimmy Urine)
04. Tilt
05. Hatevol
06. Proximity
07. Living A Lie
08. Wake Up The Coma (ft. Nick Holmes)
09. Mesmerized
10. Negative Territory
11. Structures
12. Spitting Wind (ft. Chris Connelly)

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VÖ: 08.02.2019
Genre: Electro/Industrial
Label: Metropolis

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