Xenia Beliayeva – Riss (CD-Kritik)

Es ist viel passiert seit den frühen Tagen, wo Beliayeva als A&R beim Hamburger Urgestein-Label Ladomat 2000 anfing. Seitdem veröffentlichte sie auf Labels wie Datapunk, Different, Systematic Recordings, Einmusika u.v.m und kollabierte u.a mit Künstlern wie Dubfire, Oliver Huntemann, Miss Kittin und Marc DePulse. Längst ist Xenia Beliayeva mit ihrer Musik, ihren DJ-Sets und ihrer Radioshow „Radio Xenbel“ dem reinen Elektronikzirkus entwachsen und wird auch jenseits der Club-Mauern wahrgenommen. (Quelle: Promotion-Werft) Nach ihrem Debütalbum „Ever Since“, welches 2010 via T. Raumschmieres Label Shitkatapult erschien, steht nun endlich der lang und mit Spannung erwartete Nachfolger in den Startlöchern. „Riss“ so lautet der Titel des neuen Studioalbums, das am 16. März 2018 via Manual Music auf den Markt kommt. Um einen ersten Einblick in das neue Werk zu erhalten, koppelte die russische Electro-Musikerin mit „High Expectations“ und „Because“ bereits zwei Singles aus und lieferte jeweils auch einen passenden Videoclip dazu ab.

Das Album setzt sich selbst einen hohen Maßstab mit „High Expectations“, der EP, die im Februar 2018 veröffentlicht wurde. Das ist der Klang der 80er Jahre Electro Wave. Der Bass trocken nach vorn gespielt, die Melodie poppig glockenhell und mein erster Gedanke war, dass dieser Titel nach ‚Blondie‘ klingt. Danach kommt „Razor“ und das klingt schon ganz anders. „Razor“ ist die kühle Eleganz des Synthiepop. Differenziert komponierte kühle Klangkonstrukte erweckt durch poppige Retro-Handclaps bohren sich ins Gehör. „Riss“ ist der Titel, der dem Album den Namen gibt, oder ist es umgekehrt? Dieses nachdenkliche Stück erzählt auf dramatische Art, vertont durch die Brüche in den Harmonien, vom Riss, der sich in der Seele der Mensch auftut und sich Raum schafft. In „Because“ drängt sich wieder eine Retrospektive auf. Diesmal an den 80er Post Punk Wave wie ‚Siouxsie and the Banshees‘. Dieser Titel war ebenfalls eine Singleauskopplung (Januar 2018). Weiter geht es mit extrem coolem Elektro-Minimalismus: „Televisor“. Toller Beat des Basses, der reinknallt, Hi-Hat, Handclaps und die russischen Spoken Words in der Strophe darüber — extrem cool gewürzt mit einer Prise Ironie! Zum Refrain gibt es noch einige Klang-Zutaten mehr die zur Steigerung der Spannung beitragen — TOP! Das Thema der Persönlichkeits- störung ‚Borderline‘ wird in „BPD“ eindrucksvoll musikalisch umgesetzt: die Einsamkeit, instabile Emotionalität und selbstverletzendes Verhalten. „Cross The Line“ bewirkt durch glockenklare Klänge zum treibenden Beat im sich harmonisch auflösenden Refrain die Erlösung der bedrohlich-dunklen Harmonien der Strophen. Ein französischer Titel, gesungen mit englischem Text, wieder im Spoken Word Stil, ist „Noir“. Es beginnt wie eine Klangcollage eines Thrillers. Tief pulsiert der Bass im untersten Frequenzbereich, was den avantgardistischen Charakter des Stückes unterstreicht. Das Instrumental „Leise Schritte“ geht mit seinem treibenden Beat flott zur Sache. Die Flächensounds steigern sich langsam vom dumpfen Klang bis zur absoluten Aufhellung, dann erfolgt ein abrupter Abbruch. Der Beat geht weiter mit „Mins“. Es bleibt instrumental. Der Track nimmt die langsame Filtermodulation von „Leise Schritte“ mit auf und steigert sich bis zum Ende fein disco- mäßig auch ohne Gesang. Der vorletzte Track „Reihe5“ mit deutschem Text ist lasziver Elektro-Pop. Immer wieder spannend sind die Voice-Effects, die die Stimme manchmal mehr als Instrument erscheinen lässt. Hier darf der Synthieteppich mal ausgerollt werden. Mit „So True“ serviert Xenia ein ruhiges Stück zum Ausklang. Diesmal mit ganz dezent gesetztem weichem Klangteppich. Klavier- und gitarrenähnliche Klanggebilde erschaffen eine tief melancholische Atmosphäre, die bis unter die Haut dringt.

Fazit: „Riss“ ist ein vielschichtiges Werk mit einigen unterschiedlichen Komponenten wie Elektro bzw. Cool Wave, ein bisschen Gitarrenwave aus der Post-Punk-Ära, eine Prise Avantgarde, ein Hauch Synthie- bzw. Futurepop. Die Komponenten werden durch die Auswahl der Sounds und klanglichen Stilmittel gut zusammengehalten. Ein genaues Hinhören lohnt sich, denn Xenia Beliayeva aus Hamburg hat viel an ihren Sounds gewerkelt, die beim oberflächlichen Hören einfach nur ein bisschen retro-elektro-analog klingen, aber mit viel Raffinesse und Filtertechnik spannend inszeniert werden. Dumpf perkussive Klänge wechseln sich ab mit hellen, glockenklaren Sounds, was dem Album einen recht organischen Touch verpasst. Xenia Beliayeva singt mit nasaler Coolness mehrsprachig in Englisch, Deutsch und Russisch. Der Gesang wird oft mit verschiedensten Voice-Effects verändert und stützt derart die unterkühlte Stimmung dieses Werkes. In der Tendenz minimalistisch komponiert ohne breite Synthieteppiche liegt hier ein ganz ausgezeichnetes, tanzbares Album vor, das nicht nur durch seine coole, klare Struktur glänzt, sondern auch durch filigrane Rhythmik und spannende Sounds.

Tracklist:

01 High Expectations
02 Razor
03 Riss
04 Because
05 Televisor
06 BPD
07 Cross The Line
08 Noir
09 Leise Schritte
10 Mins
11 Reihe5
12 So True

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VÖ: 16.03.2018
Genre: Electronic
Label: Manual Music

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