Suicide Commando · Forest Of The Impaled (CD-Review)

Nach der letzten Veröffentlichung „When Evil Speaks“ (2013) warteten die Fans schon lange darauf, dass die Electro-Legende Suicide Commando ein neues Album herausbringt, doch leider mussten sie sich bisher in viel Geduld üben und auch einige Konzertabsagen hinnehmen. Jetzt ist es endlich soweit: Suicide Commando – das Einmann-Projekt des Belgiers Johan van Roy, mit dem er seit über 30 Jahren regelmäßig die Clubs mit düsteren, brachialen Electro-Sound rund um den Globus zum Beben bringt, kehrt in diesem Jahr mit neuem Material lautstark zurück! „Forest Of The Impaled“ lautet der Titel des neuen, neunten Studioalbums, das am 21. Juli in Europa über Out Of Line und Anfang September in den USA über Metropolis Records auf den Markt kommt.

Die Türen des neuen Werkes öffnen sich mit „The Gates Of Oblivion“ (feat. Nero Belum – Psyclon Nine), das albtraumhaft-psychedelisch mit einer orientalisch angehauchten Melodie, gespielt von einer Art verzerrtem Glockenspiel mit viel Hall, beginnt. Dazu kommen Mönchs- gesänge und verzerrte Kinderstimmen: Ein Klanggemisch direkt aus einem Horrorstreifen und ängstliche Erwartung macht sich gleich im Magen breit. Anfangs eine Midtempo-Nummer, die noch zum Ende ihr Tempo verdoppelt. Oblivion ist bedrohlich und sehr, sehr düster mit maximal verzerrter Stimme — gegen das Vergessen, was Oblivion bedeutet. Doch in seiner Machart ist „The Gates of Oblivion“ ein Sammelbecken für Suicides Stil: Schon fast ein wenig verspielt wegen der Samples und der kleinen klanglichen Einschübe, glockenklaren Sounds, die neben dem genretypischen Sägezahnsound sphärisch klimpern und natürlich die Stimme, der über nichts anderes als das Böse und über unsere menschlichen Abgründe shoutet. Der Ausflug in die Gregorianik im Opener leitet thematisch gleich weiter über in den Titel „My New Christ“, der mit brachialem Beat über einen hereinbricht. „My New Christ“ ist äußerst druckvoll, absolut gradlinig, fast schnörkelfrei gestrickt nach alter EBM Sitte. Muss man dazu tanzen, unbedingt! Dann kommt „Too Far Gone“ mit einer recht ungewöhnlichen Melodieführung, die leicht gegen die Hörgewohnheiten geht. Dazu poltert der Bass völlig übersteuert im Hintergrund seinen Rhythmus. Klanglich sehr interessant gestrickt. Der Anfang von „Death Lies Waiting“ ist mit sehr ungewöhnlichen, futuristischen Sounds, die eher aus der Soundkulisse eines Science-Fiction-Films entstammen, sehr spannend gemacht. Und dann setzt dieser eigentlich ganz altmodische Synthiesound ein, der melodische Verzierungen ähnlich wie eine Trompete sogar noch über den „Gesang“ hinweg einspielt. Dieser Titel ist filigran und schön minimalistisch. Super! Der nächste Titel „The Pain That You Like“ (feat. Jean Luc De Meyer) wurde bereits als EP herausgebracht. Schneller, härter, noch technischer im Klang. Diesmal verzichtet Suicide Commando auf die starke Verzerrung des Shout-Gesangs. Das Stück beginnt schon schnell, aber ab der Mitte wird noch eine Schippe drauf gelegt. Da wird man allein vom Zuhören atemlos von so viel Energie. Ein grandioser Clubtitel! Jean Luc de Meyer, der Lead Sänger von Front 242 und Landsmann des Belgiers Johan van Roy, mischt hier mit. Front 242 sind sogar noch ein paar Jährchen älter (Gründung 1981) als Suicide Commando. „Poison Tree“ ist stiltechnisch wie „My New Christ“ geradlinig und schnörkellos, druckvoll geradeheraus, kommt aber nicht ganz an ran. Eine Synth-Spieluhr kündigt „The Devil“, die Ankunft des Teufels an. Der Text ist diesmal auf Deutsch. Etwas langsamer als die Kollegen auf der CD weben hier mehrere Melodielinien dem Stück einen satten Synthieteppich. Die tiefen und nur leicht verzerrte Shouts sowie der wum- mernde Bass verlassen ein Stück weit das klar durchstrukturierte typische Aggrotech Arrangement. Auch wenn die Klangstruktur etwas schwammiger rüberkommt, was aber super klingt, lässt es doch einen hammermäßigen Wall of Sound entstehen. Klare Struktur schafft wieder „Chasm Of Emptiness“, das zwar einen fetten Bass hat, aber durch aus wie „Death Lies Waiting“ über einen filigranen Einsatz von hohen, klaren Sounds verfügt. Dieser Kontrast ist wieder reizvoll. „Crack Up“, beginnt mit einem glockenklaren Arpeggio und einem Voice-Sample. Den Klangstrukturen nach ist das eher ein Dark Elektro Stück, allein der stark verzerrte Shout-Gesang erinnert an die Wurzeln Aggrotech. Im Hintergrund wabern spinn- webfeine Synthie-Klänge und kleiden das Stück futuristisch aus. „Crack Up“ leitet weiter über zu „Schiz(o)topia“, wo auch einige Voice-Samples zum Einsatz kommen. Auch dieser Titel ist von seiner Komposition verspielter mit weichen Sounds und sogar Streichersounds sind im Ansatz zu hören. Der Bass steht nicht so sehr im Vordergrund. Durch die Samples wird das Stück auf interessante Weise aufgewertet und es sind dann doch diese Stimmen im Kopf, die verstören. Zum Abschluss kommen nun auf „We Are Transitory“ die Streicher in voller Montur zum Einsatz. Und eine Robo-Voice gibt es noch dazu. Hier zaubert Johan van Roy wieder ziemlich verspielte Elemente aus dem Hut, was aber gar nicht auf Kosten der Brachial- sounds geht. Durchaus ungewöhnliche Soundauswahl. Der Könner und Meister spielt ebend mit Stil.

Fazit: Im letzten Jahr feierten Suicide Commando ihr 30-jähriges Bestehen. Johan van Roy begann 1986 mit elektronischer Musik zu „experimentieren“ und seine ersten Veröffent- lichungen machte er noch auf Kassette, an deren Existenz sich nur noch die Älteren erinnern. Die Bedeutung von Suicide Commando als einer der stilbildenden Leuchttürme im Meer der elektronischen Musik ist immens aufgrund der Konstanz und Länge der Existenz dieses Projekts und auch der Konsequenz des verfolgten Stils Aggrotech und der Auslotung des musikalisch Machbaren. Kritiker könnten behaupten, Suicide Commando macht doch immer dasselbe, was ja auch stimmt. Aber als Leuchtturm ist Johan van Roy Vorbild, richtungs- weisend, aber auch gleichzeitig bewahrend und beständig. Wir bekommen das, was wir erwarten, aber immer anders und in neuen Farben — der Lack ist bei Suicide Commando noch lange nicht ab. Im Jubiläumsjahr wurden viele Titel aus den Anfangszeiten, teilweise Re-Releases, veröffentlicht: eine Rückbesinnung auf die Anfänge und eine Art Protokoll des langjährigen Schaffens. Im Jahr 31 nach Gründung geht es weiter zurück in die Zukunft mit „Forest of The Impaled“. Van Roy erspart uns ein immer schneller, immer basslastiger, immer brachialer, sondern beschert den Fans ein sehr intensives und in manchen Facetten verspieltes, ja sogar manchmal mit zarten Klängen versehenes Werk. Man spürt schon fast die Freude am Ausprobieren und Basteln an den einzelnen Spuren. Johan van Roy macht das, weil er es will und weil er es kann, und das kommt einfach nur gut — nach über dreißig Jahren immer wieder!

Tracklist:

1. The Gates Of Oblivion
2. My New Christ
3. Too Far Gone
4. Death Lies Waiting
5. The Pain That You Like (feat
6. Poison Tree
7. The Devil
8. Chasm Of Emptiness
9. Crack Up
10. Schizotopia
11. We Are Transitory

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VÖ: 21.07.2017
Genre: Aggrotech, Electro-Industrial
Label: Out of Line

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